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13. Die Glücksuhr von Wölfis.
Freuden zu leben. Da klopfte ihn eines Tages jemand auf die Schulter;
er blickte sich um, und der Tod stand hinter ihm und sprach: „Folge mir,
die Stunde deines Abschieds von der Welt ist gekommen!" „Wie?" ant¬
wortete der Mensch, „willst du dein Wort brechen? Hast, du mir nicht ver-
5 sprachen, daß du mir, bevor du selbst kämest, deine Boten senden wolltest?
Ich habe keinen gesehen." „Schweig", erwiderte der Tod, „habe ich dir
nicht einen Boten über den andern geschickt? Kam nicht das Fieber, stieß
dich an, rüttelte dich und warf dich nieder? Hat der Schwindel dir nicht
den Kops betäubt? Zwickte dich nicht die Gicht in allen Gliedern? Brauste
lO dir's nicht in den Ohren? Nagte nicht der Zahnschmerz in deinen Backen?
Ward dir's nicht dunkel vor den Augen? Über das alles hat nicht mein
leiblicher Bruder, der Schlaf, dich jeden Abend an mich erinnert? Lagst
du nicht in der Nacht, als wärest du schon gestorben?" Der Mensch wußte
nichts zu erwidern, ergab sich in sein Geschick und ging mit dem Tode fort.
16 Brüder Grimm.
13. Die Glücksuhr von Wölfis.
;ö war, wie die meisten Dörfer des Thüringer Waldes, ein armer,
kleiner Ort, dessen Bewohner sich, um das liebe Leben zu erhalten,
Sommer und Winter abarbeiten mußten. Während die Männer im Walde
20 oder auf dem dürftigen Stückchen Ackerland beschäftigt waren, zogen die
Weiber zu Tal, viele Meilen ins offene Land hinein, um Beeren, Johannis¬
blumen oder Wacholder und geflochtene Strohdecken zum Verkauf zu tragen.
Das ging so Jahr für Jahr, — die Kinder sahen's den Eltern ab und richteten
sich das Leben nicht schlechter ein und nicht besser.
25 Zu der Zeit, davon ich rede, lag am Ende des Dörfchens, wo das rötliche
Felsgesteiu steil aufstieg, ein kleines, sanberes Häuschen mit einem winzigen
Gärtchen davor. Das Häuschen schien im Schutze der Felswand gegen jedes
Wetter geborgen; denn die Ziegel auf dem Dache waren weniger verwittert,
als aus den andern Dächern, an den Fensterläden ließ sich noch immer die
30 Spur eines frühern Anstrichs erkennen, und das Gärtchen schmückte sich sogar
mit einem großen Busch rotblühender Nelken. In diesem saubern Häuschen
war jedoch die Tür fast den ganzen Tag über verschlossen. Es lebte eine
fleißige, saubere, sparsame Frau darin, die „Hann' Adeln" genannt, welche
von den übrigen Dorfbewohnern nicht viel wissen wollte. Sie hatte aus
35 einem fleißigen Fabrikstädtchen hier herauf geheiratet, — ihr Mann war nicht
lang darauf beim Holzen verunglückt — seitdem lebte sie einsam in betn