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III. Aus dem Leben großer deutscher Männer und Frauen.
Zeit gemeinsam erlebten, das hat Streicher als hochbetagter Mann,
lange nach Schillers hinscheiden, in seinem schlicht und warm geschrie¬
benen Büchlein „Schillers Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in
Mannheim, von 1782—1785" erzählt; es ist nach des Verfassers Tod
im Jahre 1836 erschienen, ein Ehrendenkmal für den über alles verehrten
Dichter und ein Dokument treu ausharrender Freundschaft.
Die Zeit drängte. Schiller machte sich mit Streicher aus den
letzten, schweren Gang nach der Solitude zum Abschied von den Eltern
und Geschwistern.
Noch einmal zeigte sich das reizvolle Bild der Heimat dem weh¬
mütig Gestimmten im Glanz der Sonne.
Wie schmerzhaft das Lebewohl von beiden ausgesprochen sein mußte,
ersah man an den Gesichtszügen des Sohnes sowie an seinen feuchten,
geröteten Augen. Er suchte, diese einem gewöhnlichen, ihn oft befallenden
Übel zuzuschreiben, und konnte erst auf dem Wege nach Stuttgart durch
die zerstreuenden Gespräche der Gesellschaft wieder zu „einiger
Munterkeit gelangen".
Zu Hause angekommen, setzten die beiden Freunde alles endgültig
für die Flucht fest. Zn der Nacht von: 22. auf den 23. September
sollte, wie sie auf der Solitude erfahren hatten, das Lustschloß die
fürstlichen Herrschaften mit ihrem Gefolge beherbergen; die angekündigte
Beleuchtung von Berg und Schloß mußte alle Schaulustigen dorthin
ziehen. Diese Zeit wurde für die Abreise ausersehen, zumal auch fest-
stand, daß Schillers Regiment gerade während jener Nacht die Wache
an den Stadttoren nicht haben werde, wodurch die Gefahr der Ent¬
deckung dem Negimentsmedikus vermindert schien.
Pünktlich stellte Streicher sich ein. Allein er fand nicht das
mindeste hergerichtet. Zn Klopstocks Oden vertieft, die ihm beim Zu¬
sammensuchen seiner Bücher in die Hände gefallen waren, hatte der
Dichter die drängende Stunde vergessen, eins der früher bewunderten
Gedichte regte ihn so an, daß er sogleich „in einem so entscheidenden
Augenblicke" ein Gegenstück dichtete. Wie sehr Streicher auch drängte,
er nnlßte Ode und Gegenstück erst noch anhören und hatte selbst dann
noch seine Not, den Dichter „wieder auf unsere Welt, auf den heutigen
Tag, zu der ssiehenden Minute" zurückzubringen. So wurde es Nach¬
mittag, bis alles in Ordnung war.
Abends um neun Ahr stellte sich Schiller in Streichers Wohnung ein.
Bald war der Wagen mit den zwei Koffern und Streichers kleinem
Klavier bepackt, dann gab es noch einen schweren Abschied zwischen
Mutter Streicher und ihrem einzigen Sohne. Am zehn Ahr fuhren die