Heine — Herder.
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6. Epheu rankt an dem Balköne,
Wo die schöne Dame stand,
Die den stolzen Überwinder
Mit den Augen überwand.
1824.
7. Ach! den Sieger und die Siegrin
Hat besiegt des Todes Hand —
Jener dürre Sensenritter
Streckt uns alle in den Sand.
Werke. I, S. 128 f.
Gottfried Herder.
205. Der gerettete Jüngling.
Eine schöne Menschenseele finden
Ist Gewinn; ein schönerer Gewinn ist,
Sie erhalten, und der schönst' und schwerste,
Sie, die schon verloren war, zu retten.
s Sankt Johannes, aus dem öden Patmos
Wiederkehrend, war, was er gewesen,
Seiner Herden Hirt. Er ordnet' ihnen
Wächter, auf ihr Innerstes aufmerksam.
In der Menge sah er einen schönen
w Jüngling; fröhliche Gesundheit glänzte
Vom Gesicht ihm, und aus seinen Augen
Sprach die liebevollste Feuerseele.
„Diesen Jüngling", sprach er zu dem
Bischof,
„Nimm in deine Hut! Mit deiner Treue
^Stehst du mir für ihn! Hierüber zeuge
Mir und dir vor Christo die Gemeine!"
Und der Bischof nahm den Jüngling
Zu sich,
Unterwies ihn, sah die schönsten Früchte
In ihm blühn, und weil er ihm ver¬
traute,
so Ließ er nach von seiner strengen Aufsicht.
Und die Freiheit war ein Netz des Jüng¬
lings.
Angelockt von süßen Schmeicheleien,
Ward er müßig, kostete die Wollust,
Dann den Reiz des fröhlichen Betruges,
25 Dann der Herrschaft Reiz; er sammelt'
um sich
Seine Spielgesellen, und mit ihnen
Zog er in den Wald, ein Haupt der Räuber.
Als Johannes in die Gegend wieder
Kam, die erste Frag' an ihren Bischof
so War: „Wo ist mein Sohn?" „Er ist
gestorben! “
Sprach der Greis und schlug die Augen
nieder.
„Wann und wie?" — .,Er ist Gott ab¬
gestorben,
Ist, mit Thränen sag' ich es, ein Räuber. “ —
„Dieses Jünglings Seele", sprach Jo¬
hannes,
35 „Fordr' ich einst von dir. Jedoch, wo
ist er?"
„Aus dem Berge dort." — „Ich muß
ihn sehen."
Und Johannes, kaum dem Walde nahend,
Ward ergriffen; eben dieses wollt' er.
„Führet", sprach er, „mich zu eurem
Führer!"
W Vor ihn trat er, und der schöne Jüngling
Wandte sich; er konnte diesen Anblick
Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater,
Einen Greis! Ich habe dich gelobet
45 Meinem Herrn und muß für dich ant¬
worten.
Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben
Für dich hin; nur dich fortan verlaffen
Kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet,
Dich mit meiner Seele Gott verpfändet."
50 Weinend schlang der Jüngling seine Arme
Um den Greis, bedeckete sein Antlitz
Stumm und starr; dann stürzte statt der
Antwort
Aus den Augen ihm einStrom von Thränen.
Auf die Kniee sank Johannes nieder,
55 Küßte seine Hand und seine Wange,
Nahm ihn neugeschenket vom Gebirge^
Läuterte sein Herz mit süßer Flamme.
Jahre lebten sie dann unzertrennet
Miteinander; in den schönen Jüngling
60 Goß sich ganz Johannes' schöne Seele. —
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