Full text: Gedichtsammlung aus den letzten 150 Jahren deutscher Dichtung (Teil 3, [Schülerband])

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Herder. 
Sagt, was war es, was das Herz des 
Jünglings 
Also tief erkannt' und innig festhielt 
Und es wiederfand und unbezwingbar 
Rettete? Ein Sankt-Johanues-Glaube, 
es Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit. 
Werke. Il, S. 4L ff. 
206. Der Tapfere. 
Ein edler Held ist, der fürs Vaterland, 
Ein edlerer, der für des Landes Wohl, 
Der edelste, der für die Menschheit kämpft. 
Ein Hoherpriester, trug er ihr Geschick 
5 In seinem Herzen und der Wahrheit Schild 
Aus seiner Brust. Er steht im Felde, Feind 
Des Aberglaubens und der Üppigkeit, 
Des Irrtums und der Schmeicheleien Feind, 
Und fällt, der höchsten Majestät getreu, 
io Dem redlichen Gewissen, das ihm sagt: 
Er suchte nicht und floh nicht seinen Tod. 
»Was tötet ihr die Glieder?« rief 
die Wut 
Des Heidenpöbels, »sucht und würgt 
das Haupt!« 
Man sucht den frommen Polykarpus, 
ihn, 
iS Johannes' Bild und Schüler. Sorgsam 
hatten 
Die Seinen ihn aufs Land geflüchtet. „Ich 
Sah diese Nacht das Kissen meines Haupts 
In voller Glut", so sprach der kranke Greis, 
„Und wachte mit besondrer Freude auf. 
20 Ihr Lieben, mühet euch umsonst; ich soll 
Mit meinem Tode Gott lobpreisen." Da 
Erscholl das Haus vom stürmenden Geschrei 
Der Suchenden. Er nahm sie freundlich auf. 
„Bereitet", sprach er, „diesen Müden noch 
25 Ein Gastmahl! Ich bereite mich indes 
Zur Reise auch." Er ging und betete 
Und folgete mit vielen Schmerzen ihnen 
Zum Konsul. Als er auf den Richtplatz 
kam, 
Rief eine mächt'ge Stimm' im Busen ihm: 
so,Sei tapfer, Polykarp!* Der Konsul 
sieht 
Den heitern, schönen, ruhig sausten Greis 
Verwundernd. „Schone", sprach er, 
„deines Alters 
Und opsre hier, entsagend deinem Gott!"— 
„Wie sollt' ich einem Herrn entsagen, dem 
35 Zeitlebens ich gedieuet und der mir 
Zeitlebens Gutes that?" — „Und fürch¬ 
test du 
Denn keines Löwen Zahn?" — „Zer¬ 
malmet muß 
Das Weizenkorn doch einmal werden, sei's, 
Wodurch es will, zur künft'gen neuen 
Frucht!" 
40 Der Pöbel ries: »Hinweg mit ihm! Er ist 
Der Christen Vater. Feuer! Feuer her!« 
Sie trugen Holz zusammen, und mit Wut 
Ward er ergriffen. „Freunde", sprach er, 
„hier 
Bedarf's der Bande nicht. Wer dieser 
Flamme 
46 Mich würdigte, der wird mir Mut ver- 
leihn!" 
Und legte still den Mantel ab und band 
Die Sohlen seiner Füße los und stieg 
Hinauf zum Scheiterhaufen. Plötzlich schlug 
Die Flamm' empor, umwehend ringsum ihn 
50 Gleich einem Segel, das ihn kühlete, 
Gleich einem glänzenden Gewölbe, das 
Den Edelstein in seine Mitte nahm 
Und schöner ihn verklärte, bis ergrimmt 
Ihm eine freche Faust das Herz durchstieß. 
55 Er sank; es floß sein Blut; die Flamm' 
erlosch, 
Und eine weiße Taube flog empor. 
Du lachst der weißen Taube? Soll 
einmal 
Ein Geier dir, dem Sterbenden, die Brust 
Durchbohren? dem Gestorbenen das Aug' 
so Ein Nab' aushacken? aus der Asche sich 
Molch oder Natter winden? Spotte nicht 
Des Bildes, das die Sage sich erschuf! 
Nur Einfalt, Unschuld giebt im Tode Mut. 
Werke. II, S. 47 ff.
	        
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