Full text: Gedichtsammlung aus den letzten 150 Jahren deutscher Dichtung (Teil 3, [Schülerband])

Lenau. 
217 
Nikolaus Lenau. 
271. Die Heideschenke. 
l- Ich zog durchs weite Ungarland; 
Mein Herz fand seine Freude, 
Als Dorf und Busch und Baum verschwand 
Auf einer stillen Heide. 
2. Die Heide war so still, so leer, 
Am Abendhimmel zogen 
Die Wolken hin, gewitterschwer, 
Und leise Blitze stogen. 
I. Da hört' ich in der Ferne was, 
In dunkler, meilenweiter; 
Ich legte 's Ohr ans knappe Gras, 
Mir war, als kämen Reiter. 
4. Und als sie kamen näherwärts, 
Begann der Grund zu zittern, 
Stets bänger, wie ein zages Herz 
Vor nahenden Gewittern. 
5. Hertobte nun ein Pferdehaus, 
Bon Hirten angetrieben 
Zu rastlos wildem Sturmeslaus 
Mit lauten Geißelhieben. 
e. Der Rappe peitscht den Grund geschwind 
Zurück mit starken Hufen, 
Wirft aus dem Wege sich den Wind, 
Hört nicht sein scheltend Rufen. 
7. Gezwungen ist in strenge Hast 
Des Wildfangs tolles Jagen, 
Denn klammernd herrscht des Reiters Kraft, 
Um seinen Bauch geschlagen. 
8. Sie flogen hin, woher mit Macht 
Das Wetter kam gedrungen; 
Verschwanden — ob die Wolkennacht 
Mit einmal sie verschlungen. 
9. Doch meint' ich nun und immer noch 
Zu hören und zu sehen 
Der Hufe donnerndes Gepoch, 
Der Mähnen schwarzes Wehen. 
10. Die Wolken schienen Rosse mir, 
Die eilend sich vermengten, 
Des Himmels hallendes Revier 
Im Donnerlauf durchsprengten; 
11. Der Sturm, ein wackrer Rosseknecht, 
Sein muntres Liedel singend, 
Daß sich die Herde tummle recht, 
Des Blitzes Geißel schwingend. 
12. Schon rannten sich die Rosse heiß, 
Matt ward der Hufe Klopfen, 
Und auf die Heide sank ihr Schweiß 
In schweren Regentropfen. 
13. Run brach die Dämmerung herein; 
Mir winkt von fernen Hügeln 
Herüber weißer Wände Schein, 
Die Schritte zu beflügeln. 
14. Es schwieg der Sturm, das Wetter 
schwand; 
Froh, daß es fortgezogen, 
Sprang übers ganze Heideland 
Der junge Regenbogen. 
15. Die Hügel nahten Mgemach; 
Die Sonne wies im Sinken 
Mir noch von Rohr das braune Dach, 
Ließ hell die Fenster blinken. 
16. Am Giebel tanzte wie berauscht 
Des Weines grüner Zeiger, 
Und als ich freudig hingelauscht, 
Hört' ich Gesang und Geiger. 
17. Bald kehrt' ich ein und setzte mich 
Allein mit meinem Kruge; 
An mir vorüber drehte sich 
Der Tanz im raschen Fluge. 
18. Die Dirnen waren frisch und jung 
Und hatten schlanke Leiber, 
Gar flink im Drehen, leicht im Sprung, 
Die Bursche — waren Räuber. 
19. Die Hände klatschten, und im Takt 
Hell klirrt des Spornes Eisen; 
Das Lied frohlocket, und es klagt 
Schmermütig kühne Weisen. 
20. Ein Räuber singt: „Wir sind so frei, 
So selig, meine Brüder!" 
Am Jubeln seines Munds vorbei 
Schleicht eine Thräne nieder.
	        
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