20. Geist der Zeit,
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aus daß euren Kindern und Enkeln ein Vaterland und Recht werde. Und
wenn ihr alle dies tätet, wenn ihr alle von einem Sinn, von einer Begeisterung
brenntet, wohl würde das Schwert der Unterdrücker an eurem Nacken er-
stumpfen, und mit bebendem Haar würden sie über den Rhein und die Alpen
fliehen. Ihr und keine andern sind berufen, dem geteilten und sich selbst
verderbenden und schändenden Volke das Gefühl eines Glaubens und einer
Treue für das Vaterland zu geben, jeden: einzelnen das unverletzliche Gefühl
zu geben, daß kein Tyrann und kein Scherge das Recht hat, sie auszuschicken,
um für Franzosen deutsches Blut zu vergießen; durch euch und keine andre
muß Schande Schande und Recht Recht werden; durch euch und keine andre
muß eine hohe Flamme der Glorie und Ehre über den Leichen und Greueln
aufsteigen, und die Erinnerungen großer Väter, die Erinnerungen heiliger
Kämpfe und Leiden müssen zu einer herrlichen, erlösenden Tat werden!
Ihr schweigt, ihr kennt eure allmächtigen Waffen nicht, wodurch ihr ver¬
bunden unüberwindlich sein würdet; ihr zittert und fühlt, die ersten werden als
Opfer fallen. Aber wofür seid ihr die Pfleger, die Halter, die Verwalter der
höchsten Ehren und heiligsten Güter in eurem Volke, wenn ihr nicht jeden
Tag für eure Pflicht sterben könnet? Hinweg mit dem weinerlichen Mitleid,
mit der schonenden Milde, mit der Unheil und Verwüstung wägenden Frömmig¬
keit! Dies ist kein Mitleid, dies ist keine Milde, dies ist keine Frömmigkeit.
Wann Kampf steht um Freiheit oder Sklaverei, um Ehre oder Schande,
so verstumme das Kleine, und die eine Männertugend gebiete, welche Rettung
oder Tod will. Sehet euch um, ihr, die ihr das Alte und Neue, das Ver¬
gangene und Zukünftige verstehet, das Gegenwärtige nicht verstehen wollet,
sehet euch um in den schönen Geschichten des Altertums, in den ruhmvollen
Jahrbüchern eurer Altvordern, in den herrlichen Kämpfen des Mittelalters —
ja sehet euch um nach dem Neuesten, was ein schlechteres Volk getan hat,
jenes Volk, das euch jetzt unterjochen will. Als vor fünfzehn Jahren die
Fremden andrangen und das Zerstörte und Zwieträchtige teilen wollten, war
nur ein Laut, ein Wille, eine Begeisterung; jede Stimme, die klingen konnte,
klang, jede Faust, die schlagen konnte, schlug: die Fremden mußten fliehen,
und das Land war gerettet. Euch steht es jetzt zu, dem Volke zu helfen;
euch steht es zu, den Namen Deutscher zu einem großen Gefühl, ihn jeden:
Deutschen unverletzlich zu machen. Euch steht es zu, das Volk auf sich selbst,
auf seine Ehre, seinen Mut, seine Zahl, seine Arme hinzuweisen und alle
ihre Gefühle und Gedanken gegen die Franzosen zu entflammen. O Sonne,
die diese Greuel sieht, o Herrlichkeit meines Volkes, o Ehre des Landes, das
mich gebar, o Schmuck der alten, freien, deutschen Eichen, die meine Kinder-
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