Object: Landschaftliche Charakterbilder der hervorragendsten Gegenden der Erde

288 Afrika. 
für Pflanzen-, Tier- und Menschenwelt. Das höchstens 30 km, im Durchschnitt 
12 — 18 km breite Thal zwischen den Höhenzügen zu beiden Seiten war einst 
wohl ein Meerbusen, den der Fluß allmählich mit seinem Schlamm ausgefüllt 
hat, so daß das bewohnbare Ägypten nichts andres ist als ein schmaler Gürtel 
höchst fruchtbaren Marschlandes, das zwischen den wüsten Bergketten einge- 
zwängt liegt. Wo die libyschen Bergketten sich westwärts wenden, teilt sich der 
Fluß in Arme, die das 8800 qkm große Delta, ein niedriges, sumpfiges Weide- 
laud mit großen Strandseeen, bewässern; die noch jetzt existierenden, indes wenig 
schiffbaren Hauptarme sind die von Damiette und Rosette. 
Jenes schmale Stromthal des Nil praugt nun einen großen Teil des Jahres 
hindurch im üppigsten Grün der Durrha-, Zuckerrohr-, Baumwollen-, Mais- 
und Weizenfelder, der Melonen-, Rizinus- und Jndigopslanznngen; nicht min- 
der aber im Schmucke malerischer Städte uud Dörfer, üppiger Palmenhaine 
und Sykomorengrnppen, und diese Landschaft wird von den Kalk- und Sandstein- 
felsen der arabischen Wüste auf der östlichen und der libyschen Wüste auf der 
westlichen Seite begrenzt. Dieselben fafsen das grüne Thal wie zwei lange, 
kahle, gelbe Wälle ein, die sich in Höhen von 70—2(30 m, mitunter selbst 
350 m über den Spiegel des Stromes erheben. Vom Nilschisse aus erreicht 
das Auge sast überall diese ödeu Plateaus der beiden Wüsten. Mituuter ragen 
sie starr wie die Umfassungsmauern eines Gefängnisses aus dem grünen Garten 
der Ebene hervor, nicht selten treten sie aber anch dicht an das Niluser heran, 
ja fallen schroff in den Strom ab. Sie gewähren dann an einigen Stellen 
einen imposanten Anblick durch die plastischen Formen ihrer hervortretenden 
Kuppen und Spitzen, deren steile Abhänge, mit tief ausgewitterten Furchen 
und zerrissenen Rändern phantastische Gestalten bildend, dem andringenden 
Strome trotzig entgegenstarren. Die Schärfe der Linien, deren feste Führung 
kein Baum, kein Halm unterbricht, nicht einmal eine Mooskruste weicher macht, 
schneidet in die klare Bläue der Luft ein, und das grangelbe, kahle Gestein 
spiegelt sich in der breiten Wasserfläche. Selbst die Thäler, dieses sanfte Ele- 
ment in der wilden Welt der Gebirge, treten hier als schroffe Schluchten auf 
uud bilden schauerliche, wasserlose Einöden. Mit Ausnahme einiger armseligen 
koptischen Klöster und einer Anzahl von weißen Scheichgräbern, die durch mo- 
Hammedanische Einsiedler gehütet werden, ist hier das Land aus Tausende von 
Quadratkilometern von seßhaften Bewohnern entblößt und wird nur strichweise 
vou Beduinenstämmen durchstreift. 
Unterägypten, d. h. die Gegend vom Mittelmeere bis Kairo, hat Nieder- 
schlüge, und zwar in der Nähe des Meeres bisweilen recht bedeutende; Ober- 
ägypten hingegen genießt fast ununterbrochen eines heiteren Himmels und Herr- 
lichen Sommers, und oft vergehen Jahre, ehe es in der Gegend von Afsnan regnet. 
Selbst in den Monaten Oktober, November und Dezember findet sich hier eine 
Temperatur von 220 E. im Schatten und 30° in der Sonne und die Nächte 
sind keineswegs unangenehm kühl. Die atmosphärischen Erscheinungen tragen 
zu der wunderbaren Physiognomie der ägyptischen Landschaft wesentlich bei. 
Selbst die Palette eines Tizian vermöchte nicht das Gesättigte der Farben und 
die Abstufungen der Töne wiederzugeben, iu denen z. B. die Pyramiden von 
Gizeh oder die Kuppen uud Klippenreihen der arabischen und libyschen Ge- 
birgskette oder die Höhen von Theben, vom Nil ans gesehen, sich zeigen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.