19. Der Rosengarten von Worms.
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„der eine ist ein alter Mann und hat drei Wölfe im Schild und eine
goldene Schlange auf dem Helm." — „Waffen!" rief Jlfan, „das ist mein
Bruder Hildebrand! und der andere?" — „Bei ihm", fuhr der Pförtner
fort, „hält ein Junger, der sitzt so herrlich auf seinem Roß, daß mich dünkt,
er müßte ein rechter Held sein; im Schilde führt er einen goldenen Löwen." 5
— „Waffen!" rief Jlfan wieder, „das ist König Dietrich, mein Herr."
Darauf warf er die graue Kutte über den strahlenden Panzer und zog die
Kapuze über den Kopf. So trat er hinaus vor die Pforte.
„Benedicite, frommer Bruder", begann Hildebrand. Doch der Mönch
ließ ihn nicht weiterreden. „Hol dich der Teufel", rief er, „was reitest 10
du wieder in der Welt herum, alter Narr? Wahrlich, du säßest besser
daheim bei Frau Uten im warmen Gemach." Hildebrand, der seinen Bruder
sogleich erkannte, sprach: „So gut wird mir's für jetzt noch nicht. Höre,
die schöne Kriemhilde hat uns zum Wettkampf in ihren Rosengarten ein¬
geladen. Drum wollte dich mein Herr bitten, daß du ihm nun die Fahrt 15
leistest, die du ihm einst gelobtest. Gedenke dran, wie du den Eid geschworen
hast!" — „Ich kann mich des wahrlich nicht besinnen", antwortete der Mönch,
„und hab auch keine Lust, auf meine alten Tage nach Abenteuern auszu¬
ziehen." — „Lieber Bruder", sprach Hildebrand, „noch nie war meinem
Herrn die Hilfe so vonnöten. Ich mahne dich deiner Treue." 20
Noch eine Weile ließ sich der Mönch bitten. Endlich hub er an
zu lachen, zog seine Kutte ab und warf sie ins Gras, daß er in voller Rüstung
dastand. Da lachten auch Dietrich und Hildebrand, und der Berner sprach,
indem er auf Jlsans Schwert wies: „Ei seht doch, was tragt Ihr da für
einen sonderlichen Predigerstab? Mich dünkt, es bliebe mancher lieber zeit-25
lebens ein armer Sünder, eh er bei Euch zur Beichte ginge." — „Steigt
nun ab, lieber Herr, und du, tu desgleichen, Bruder", sprach Jlfan, „ihr
sollt euch an guter Speise und trefflichem Weine erlaben. Die Mönche
müssen's zahlen; sie können meinethalben nach wie vor ihre Graupen schlucken,
ich bin der schalen Speise lange leidig und will mit euch fahren." Run lieh 30
König Dietrich das Heerhorn blasen, und alsbald rüsteten sich die guten
Helden. Das Sturmbanner in der Hand ritt Hildebrand den andern voraus
und leitete sie durch die Lande bis zum Rhein.
Frohen Mutes ging Kriemhilde zu ihrem Vater Gibich und sprach:
„O lieber Vater, hast du die Kunde nicht gehört, daß der Berner mit seinen 35
Helden ins Land kam? Es mag dir nun geziemen, ihm entgegenzureiten
und den Willkommen zu bieten." — „Du rätst mir gut", antwortete der
König und hieß alsbald fünfhundert Ritter sich herrlich kleiden. Mit ihnen