19. Der Rosengarten von Worms.
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Seine Stimme dröhnte wie ein Wisenthorn, als er rief: „Hier bin ich,
stolzer Held! Bald sollst du sehen, ich kam dir noch zu frühe! Bind auf
den Helm, ich widersage dir!" — „Nie hört ich einen liebern Gruß!" ant¬
wortete Siegfried; dann rannten sie zusammen. Sie schwangen die Schwerter,
daß spannenlange Splitter von den Schilden flogen. Beiden rann bald der
Schweiß durch die Panzerringe; nie sah man einen grimmern Strauß.
Da gedachte der edle Siegfried seiner schönen Braut, und gewaltiger
lief er den Berner an und begann ihn im Kreis herumzutreiben. Mit stolzer
Freude sah es Kriemhild und sprach zu ihren Frauen: „O sehet, wie mein lieber
Friede! ficht! Den höchsten Preis behält er doch vor aller Welt! Seht ihr, wie
er den Berner zwingt? Dem quillt das rote Blut schon unterm Helme vor."
Indes war Hildebrand zu Fuß bis an die Pforte des Gartens ge¬
schlichen, wo er sich hinter einem starken Baum versteckte. „Wie hält sich
unser Herr?" frug er Wolfhart heimlich. „Ach, er streitet leider lässig",
antwortete der Neffe, „der starke Siegfried hat ihm eine tiefe Wunde durch
den Helm geschlagen." — „Noch ist er nicht in seinem rechten Zorn", sprach
Hildebrand, „nun ruf ihm zu, ich sei von seinem Streich gestorben." Da
rief Wolshart in den Garten, daß es weithin erscholl: „O wehe, weh des
Leides! Tot ist der Meister Hildebrand. Weh dir, du Vogt von Bern,
warum erschlugst du ihn?" Als dies der König Dietrich vernahm, rief er
voll Zorn und Schmerz: „Und ist er tot, so starb der treuste Mann, den je die
Erde trug, und nimmer find ich seinesgleichen. Nun hüte dich, Siegfried!
Ein Kinderspiel war unser Streit bis jetzt! Ich hab um deinetwillen einen
Mann verloren, den ich bis an mein Ende immerdar beweinen muß. Drum
soll uns beide niemand scheiden als der Tod allein!"
Da liefen sie wieder einander an; aber nicht lange mehr währte ihr
Kampf. Dem Berner schoß die rote Zorneslohe aus dem Munde; Sieg¬
frieds Hornhaut ward von der Glut erweicht, in Strömen floß der Schweiß
durch seinen Panzer. Nun schwang Dietrich in ungefügem Zorn den scharfen
Eckesachs, also daß er seinem Feinde durch Harnisch und Haut hindurchschnitt.
Da mußte Siegfried weichen, wie vorher Dietrich vor ihm gewichen war.
Zum erstenmal in seinem Leben floh der gewaltige Held, durch die Rosen
jagte ihn der Berner und zerschnitt ihm die Panzerringe, als wären sie von
Stroh und nicht von hartem Stahl.
Mit Trauern sah es die Königstochter. Da säumte sie nicht länger;
sie nahm einen Schleier in die Hand und eilte in großer Hast hinzu. „Haltet
ein, Held Dietrich", rief sie laut, „ich fleh Euch an, steht ab vom Kampf
um meinetwillen! Ihr habt den Sieg errungen; niemand leugnet das."
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