Z. Pechvogel und Glückskind.
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Sternen und Schärpen. Alles war ganz still. Da ging die Türe auf, und
Pechvogel wurde hereingebracht.
„Du wirst morgen geköpft", fuhr ihn der König an, „aber zuvor wirst
du augenblicklich und vor allen diesen edlen und erlauchten Herren meiner
Tochter den Kuß wiedergeben, den sie dir unüberlegterweise gegeben hat."
„Wenn Ihr nur das wünscht, Herr König", entgegnete Pechvogel, „so
will ich es herzlich gern tun, und wenn es möglich ist, daß ein Mensch noch
glücklicher werden kann, als ich es jetzt schon bin, so werde ich es gewiß
werden."
„Das wollen wir erst einmal sehen!" unterbrach ihn der König barsch,
„diesmal könntest du dich verrechnet haben!"
Darauf schritt Pechvogel aus die Prinzessin zu, umarmte sie und gab
ihr einen Kuß. Sie aber nahm seine Hand, sah ihn sehr freundlich an, und
beide blieben vor dem Throne stehen.
„Bist du denn nun wieder vergnügt, meine liebe Tochter?" fragte
der König.
„Ein kleines bißchen, Herr Vater", entgegnete sie. „Aber es wird
gewiß nicht lange vorhalten."
„Ja, ja!" sagte der König traurig, „ich sehe es schon. Er ist ja
nicht wieder traurig geworden, wie es sein müßte, wenn's richtig wäre. Er
steht ja noch immer da und lächelt und macht immer noch das unverschämt
vergnügte Gesicht! Was nun anfangen?"
Da schlug die Prinzessin die Augen nieder und sagte leise: „Ich weiß
es, Vater, und will es dir sagen, aber bloß ins Ohr."
Darauf ging der König mit der Prinzessin auf den Vorsaal, und als
sie wieder hereintraten, nahm er die Hand Pechvogels, legte sie in die der
Prinzessin und sagte zu allen den versammelten Herren und Grafen:
„Es ist nicht zu ändern, Gottes Wille geschehe; dies ist mein lieber
Sohn, der König wird, wenn ich einmal sterbe."
Und Pechvogel wurde Prinz und später König. Er wohnte in dem
goldenen Schlosse und gab der Prinzessin so viel Küsse, daß sie noch viel
fröhlicher wurde als zuvor. Prinzessin Glückskind aber schenkte ihm für
seinen häßlichen Namen die allerschönsten, jeden Tag einen anderen. Nur
zuweilen, wenn sie recht übermütig lustig war, sagte sie zu ihm: „Weißt du
noch, wie du früher hießest?" und dann wollte sie sich totlachen. Er aber
hielt ihr den Mund zu und sprach: „Still! was sollen die Leute denken, wenn
sie es hören? Ich verliere ja allen Respekt!"
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Richard von Volkmann (Leander).