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43. Auf den Mauern Pekings.
Trommel und der rhythmische Gesang, zu den: die Füllung gestampft und
die Steine geschichtet werden. Aber ich sehe auch jene anderen Scharen, das
Nebellenheer, das zur Berennung herbeizieht, und dort blickt der Kohlen¬
hügel her, auf dem sich der letzte Ming-Kaiser unter Rauch und Flammen
oder brennenden Hauptstadt erhängt hat. Run steht die Mauer zerschossen
und gedemütigt, ein deutsches Sperrfort auf dem Nacken, und langsam bröckelt
Stein um Stein; aber aus allen Fugen ihrer Pflasterung sprießt üppig
blühendes Gesträuch, es rankt die Winde, und lustige Falter umflattern sie —
ein Idyll auf blutigem Hintergrund und so recht auch ein Symbol des
10 heutigen Chinas. — Ich kann nicht sagen, daß ich mich hier gelangweilt hätte!
Dazu klingt aus der Tiefe auch viel zu frisch das bunte Leben herauf.
Denn gerade dieses, gerade der Vordergrund ist es, der dem Blick von der
Mauer ein immer neues und wechselndes Interesse gibt. Er fügt dem
architektonischen Bilde vor allem den Reiz der Farbe hinzu, die ans dem
15 gleichförmigen Gelbgrau von Erde und Mauerwerk und dem satten Grün
der Bäume bald die rote Wand und das glänzend gelbe Dach eines Tempels,
bald eine Ladenfront mit ihrer blau, grün und rot bemalten Schnitzerei
oder die bunten Giebelchen eines der schlanken Straßentore heraus- und
kräftig gegen das heitere Blau des Himmels abhebt, und durch Licht und
20 Schatten, durch die tausenderlei willkürlichen Zutaten, die das regelmäßige
Banschema verwirren, und zuletzt auch durch die kleinen Unterschiede der
Bodengestaltung wird es dann zerlegt, belebt und plastisch gegliedert. Springt
hier ein Schutzdach vor, das einen scharfen, tiefschwarzen Schatten in die
helle Straße schneidet, so ragt dort ein zweites Stockwerk mit Galerie und
25 Altan; ist jene Fassade glatt, so hat diese dafür in den weit herausgehängten,
langen Ladenschildern um so reicheren Schmuck, und eine dritte wieder öffnet
sich zur tiefen, gastlich kühlen Halle. Drüben über dem Stadtgraben mit
seinem grünlichen Wasser und dem malerischen Brückenbogen erheben sich
auf hoher gelber Böschung mannigfach gestaffelt die Dächer und Giebel der
30 Chinesenstadt, während das Auge diesseits eine lange, lange Straße hiuauf-
wandern muß, deren abgezirkelte Regelmäßigkeit aber schon durch die Doppel¬
reihe verschiedenartigst gestalteter Hütten, Buden, Zelte und Marktschirme
der Händler, die hier eine Straße in der Straße gebaut haben, durch ihre
Röstöfen, Kneiptische und Garküchen, Fleischbänke, Topf- und Ziegel-
35 lager usw., und hin und wieder auch durch das freundliche Bild eines
Ziehbrunnens unter schirmendem Baumdach gebrochen und nahezu ver¬
wischt wird.
Und gewiß nicht zuletzt auch durch die Staffage! Wie das durchein-