53. Erlebnisse eines Tauchers.
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müsse mir platzen. Der Anweisung gemäß sperrte ich den Mund weit auf
und schnappte, so rasch ich konnte, nach Luft. Dies half; das Brausen wurde,
je länger ich unten war, um so erträglicher, ich gewöhnte mich auch bald an
den stärkeren Atmosphärendruck, der auf mir lastete und mir anfänglich die
Eingeweide aus dem Leibe drücken wollte. Das wunderlichste Gefühl war das 5
der Aufhebung der eigenen Schwerkraft, hatte ich doch allein 164 Pfund Blei
an mir hängen, dazu den schweren Anzug und den Helm, mich selbst nicht mit
gerechnet. Suchte ich mich z. B. mit dem Fuß etwas vom Boden abzustoßen,
so schnellte ich gleich einen halben Meter hoch und brauchte dann mehrere
Sekunden, um wieder herunterzuschweben. Wie soll ich nun all die Pracht 10
beschreiben, vor allem die Farben der Tiere, die ich vor meinem Fenster sah,
als ich auf dem Grund spazieren ging oder vielmehr schwebte. Ich war in die
Mauerwerke einer versunkenen Römerstadt, wahrscheinlich des alten Bajä,
geraten und schwebte nun auf den Straßen, darauf die alten Römer und
Römerinnen sich bewegt hatten, durch ihre Vorhöfe und ihre Zimmer. Aber 15
wie sah es da aus? Kein Ouadratzoll Wand oder Boden, der nicht bedeckt
war mit Algen, Schwämmen und Korallen. Dazwischen hingen dunkelrote
Seeigel und brandrote Seesterne, Seeanemonenbüschel bis zu ein Fuß Durch¬
messer, in allen Farben spielend, Krabben, Einsiedlerkrebse, in brennend roten
Schwämmen sitzend oder in Schneckengehäusen, mit Anemonen besetzt. In 20
einem kleinen Gemach, wo einst eine schwarzäugige Römerin gesessen, sah es
besonders toll aus: ein Nudel buntschillernder Seeaschen schwamm vor meinen
Fensterscheiben, die Wände waren aufs herrlichste belebt mit Pflanzen und
Tieren, statt der Römerin aber kroch im Hintergrund ein großer Tintenfisch,
der vor Erstaunen über meine seltsame Erscheinung ganz violett wurde. Ganz 25
toll aber wurde er gar, als ich ihn mit dem Hammer aus seinem Versteck
herausholte und als leckeren Bissen für das Mittagsmahl in den Sack steckte.
Nahezu eine halbe Stunde verweilte ich in dieser märchenhaften Gegend, dann
aber, um auch andern in der Gesellschaft Gelegenheit zum Tauchen zu geben,
gab ich das Signal „auf", und nach fünf Minuten atmete ich mit vollen 30
Zügen wieder frische Luft und erzählte den Freunden von den Wundern der
Tiefe. Nach mir sollte noch ein Russe an die Reihe kommen, und ich hatte
nun das Vergnügen, einen andern einpacken zu sehen. Der Herr konnte jedoch
den Druck des Wassers nicht aushalten, nach dreimaligem Abfahren und so¬
fortigem Aufziehen mußte er schließlich darauf verzichten, die Schönheiten 35
der Tiefe zu sehen. Da kein Weiterer sich mehr in die Tiefe wagte, ward in
Bajä gelandet.
Eberhard Fraas.