Z. Der Rhein bei Bingen
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Neben den eingepreßten Wassern des Flusses, auf denen Schiffe und
Flöße sich wechselvoll ans und ab bewegen, rollen Eisenbahnen hin, die mit
ihrem lauten Geräusch und hastigen Getriebe den ungemein großen Verkehr
andeuten, den hier die schmale Flußstraße zusammenführt.
Den durch das Rheinknie aus dem rechten Ufer gebildeten Winkel füllt
der Niederwald ans, das südwestlichste Ende des waldreichen Taunus. Vom
Niederwalde (225 m überm Rheine) herunter grüßen das erhabene National-
denkmal, das Erinnerungszeichen an die einmütige, siegreiche Erhebung des
deutschen Volkes im Jahre 1870, und die durch ihren einzig schönen Ausblick
berühmte künstliche Ruine Rossel, und gegenüber dem Mäuseturm die
umfangreichen Trümmer und hohen Türme der Burg Ehrenfels.
Die unteren und mittleren Gehänge des gewaltigen Walles sind mit
Weingärten dicht bedeckt. Oft sind sie sehr klein und mit äußerster
Sorgfalt an die schroffen Felsen wie Brustwehren hingeklebt. Der ganze
Berg ist von Mauer eingefaßt. Niedere Mauern, wie mir sie auf dem Wein¬
berge im Vordergründe des Bildes genau sehen können, ziehen sich, stufen¬
weise übereinander gestellt, an dem Abhänge hin, um mit ihren Terrassen
das kostbare Erdreich an der steilen Abdachung (40 °!) festzuhalten, höhere
umgrenzen die einzelnen Weingärten. Und welch köstliche Frucht reift hier!
Der glühenden Mittagssonne gleichsam dargeboten, vor den kalten Nord¬
winden durch eine hohe bewaldete Gebirgswand geschützt, und von der Wärme,
die von dem dunklen Schieferboden wie von dem Spiegel des Rheins zurück¬
strahlt, doppelt und dreifach angeglüht, kocht in den Reben der herrliche
„Rüdesheimer Berg", der an Ruf sich den besten Rheingauweinen anschließt
und am längsten unter den Marken dieses Landstriches Ruf und Ansehen
genießt. Noch ein anderer Umstand trägt dazu bei, den Niederwald wie den
Rheingau zu einem Paradies der Rebe zu machen. Einst, so meldet die
Sage, und die Naturkundigen finden sie bestätigt, ehe der Rhein das Ge¬
birge bei Rüdesheim durchbrochen und den Weg zum Ozean gefunden hatte,
bildeten das Nheintal zwischen Basel und Bingen und das Maintal zwischen
Mainz und der Wetterau einen großen See, dem erst ein fortwährendes Be-
uagen des sich entgegenstellenden Gebirges einen Abfluß nach Norden ver¬
schaffte?) Als sich darauf das Wasser in seine heutigen Schranken zurück-
1) Durchnagen konnte der Rhein das Gebirge, weil sein Bett früher höher
berlief als gegenwärtig, das Schiefergebirge aber viel niedriger war. Die Spuren
des alten, höher gelegenen Rheinbettes erkennen Imr deutlich in den am Abhange
des Durchbruchtales verfolgbaren Flußschnttstreifen, die bis zu Höhen von 190 m
über der gegenwärtigen Talsohle angetroffen werden. Zu der Annahme der niedri-
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