144
In der Frithiofssage, einem nordischen Heldengedichte, sagt die Königs¬
tochter Jngeborg in Beziehung auf Frithiof, ihren Verlobten:
„Ihm" (Frithiof) „auf der Hand
wirk ich dich, Falk, hier auf Teppiches Rand,
Silbern die Schwingen zu schauen,
Golden die Klauen."
Während des ganzen Mittelalters blieb das Spinnen und Nähen eine
Hauptbeschäftigung der Frauen aller Stände; die Weberei dagegen ging
vielfach in die Hand der Männer über. Zu einer wirklichen Kunst aber
erhob sich die Stickerei. Die Edelfrauen auf den Burgen sowohl als die
reichen Bürgerfrauen in den Städten und die frommen Schwestern in
den Klöstern zeichneten sich aus durch große Geschicklichkeit und edlen
Geschmack in der Ausführung reicher Muster. Da wurden die Säume
der Gewänder mit bunten Leinen- und Wollenfäden, mit Seide und Gold,
je nach dem Stoffe des Kleides, reich gestickt. Da zeigten Tafeltücher
und Bettbehänge figurenreiche, stilvolle Ränder. Da gingen prächtige
Teppiche und Wandbehänge, Altardecken und Vorhänge aus den kunst¬
fertigen Händen der Frauen hervor. In einer alten Dichtung heißt es:
„Diese wirkte an dem Nahmen,
Jene nähte, diese spann"
und:
„Die mich lehre wirken das Gedichte an dem Rahmen
Und darauf entwerfen beide, wild und zahm,
Hirsch und Hindin, als ob sie möchten lebend fein."
Noch jetzt bewundern wir die Arbeiten, die uns aus jener Zeit erhalten
sind, so z. B. eine Stickerei,..angeblich von der Gemahlin Wilhelms des
Eroberers herrührend, welche auf einem 71 m langen und 50 cm breiten
Leinwandstreifen die Geschichte der Eroberung Englands darstellt, und
ein besonders prächtiges Meßgewand aus dem 11. Jahrhundert, das zu
den ungarischen Reichskleinodien gehört.
Die Musterzeichnungen unserer Vorfahren dienen nicht allein vielfach
als Grundlage unserer heutigen Muster, wir benutzen sie teilweise auch
unverändert als Vorlagen, da sie sich durch Reichhaltigkeit und Schönheit
der Fornien auszeichnen. So ist das Siebmachersche Musterbuch, das
aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammt, neuerdings wieder heraus-
gegeben worden.
Am Ende des Mittelalters gesellte sich zu den bis dahin gebräuch
lichen Arbeiten der Frauen noch die Anfertigung kunstvoller Spitzen.
Allein diese Arbeit wurde nicht so allgemein üblich als die Stickerei,
sondern beschränkte sich auf bestimmte Länder, wo sie sich bald zu einem
besonderen Erwerbszweig herausbildete. Die Niederlande und Venedig
waren die Ursprungsstätten der genähten Spitzen, die in ihrer Zartheit
und dem Reichtum ihrer Muster einen so hohen Grad der Schönheit er¬
reichten, daß noch jetzt die Spitzen aus dem vorigen Jahrhundert einen
weit höheren Wert haben, als die jetzigen. Die geklöppelten Spitzen