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nur Gefahren vor Augen, sahen sie anfangs einen Tag wie den andern
vergehen, bis Stürme und die Kälte des Winters Anderungen hervor—
brachten. Was Regelmäßigkeit, Wachtdienst, Verteilung der Arbeit betraf,
so wurde ganz die Ordnung wie auf dem Schiffe beibehalten. Nur
zuweilen bot die Jagd eine Abwechselung; man erlegte mehrere Seehunde
und auch ein Walroß. Nahrung suchend, kamen vom Lande Eisfüchse
über die Schollen bis zum Hansahause, in dem sie Beute wittern mochten;
sie wurden erlegt. Auch die Eisbären wurden herangelockt. Sechs
von ihnen mußten ihr kühnes Beginnen mit dem Tode bezahlen. Sie
lieferten frisches Fleisch in die Kochtöpfe und warme Decken für die
erstarrenden Glieder; denn die Kälte hatte allmählich zugenommen. Im
Durchschnitte betrug sie — 220 R.; allein einigemal fiel die Temperatur
auf — 259; die höchste, bloß während kurzer Dauer bemerkte Kälte
war — 260R.
3. Das Treiben nach Süden, längs der grönländischen Küste hin,
die man bei heller Witterung deutlich sah, ging unausgesetzt vor sich.
Wohl hätte man die Küste selbst, über die Scholle springend, erreichen
können. Aber was hätte man dort, wo kaum auf Eskimos zu hoffen
war, beginnen sollen? Unfehlbar wären am Lande die Hansamänner
alle erfroren und verhungert; denn ihre Geräte, ihre Lebensmittel hätten
sie nicht dort mit hinschleppen können.
4. So nahte die Weihnachtszeit heran, wo in der Heimat alles
Lust und Freude atmete, wo die Tannenbäume geschmückt wurden
Gewiß dachte damals in Deutschland mancher an seine Lieben, die er
oben im hohen Norden wußte; aber noch sehnsüchtiger, so recht
aus dem tiefsten Grunde des Herzens heraus eilten die Gedanken der
schiffbrüchigen Hansamänner nach der Heimat. Wohin immer der Deutsche
kommen mag, er nimmt die herrliche Sitte, den Weihnachtstag zu feiern,
überall mit hin. Fehlen ihm in den Tropen unsere duftenden Tannen—
bäume, dann nimmt er Palmen, die er mit Lichtern schmückt, und erzählt
den in der Fremde geborenen Kindern, wie jetzt daheim im großen
weiten Vaterlande überall die geschmückten Bäume flammen zur Feier
der Geburt des Christuskindleins. Und auch die Deutschen auf der
Eisscholle im Arktischen Oceane wußten sich auf ihre Art zu helfen.
Die Steuerleute richteten den Christbaum her, indem sie in einen Stab
Besenreiser wie Tannenäste einfügten; ein für das Fest aufgesparter
Wachsstock lieferte die Lichtchen, und selbstgebackene Lebkuchen zierten
den Baum. Die Leute hatten dem Kapitän einen Knappsack und eine
Revolvertasche gemacht und verlosten unter sich die Geschenke, die
ihnen in zwei Blechkisten aus der Heimat (von Professor Hochstetter
und der Geologischen Reichsanstalt) mitgegeben worden waren. So
kam das neue Jahr 1870 heran. Weiter und weiter trieb die Scholle
nach Süden; aber die verhältnismäßig ruhigen Tage sollten nun zu