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80. CßfclTlfcl* ißutter. Von Detlev von Lilien cron.
Ausgewählte Gedichte. 21. bis 30. Tausend. Berlin u. Leipzig 1907. S. 192.
Wie oft sah ich die blassen Hände nähen,
Ein Stück für mich — wie liebevoll du sorgtest!
Ich sah zum Himmel deine Augen flehen.
Ein Wunsch für mich — wie liebevoll du sorgtest!
5 Und an mein Bett kamst du mit leisen Zehen,
Ein Schutz für mich — wie sorgenvoll du horchtest!
Längst schon dein Grab die Winde überwehen,
Ein Gruß für mich — wie liebevoll du sorgtest!
81. ©Ut£ Oacht. Von Jakob Loewenberg.
Vom goldnen Überfluß. Herausg. von J. Loewenberg. Leipzig o. J. 8. 226.
1. Wie Glockenklang vom Meeresgrunde
Ein Wort durch meine Seele zieht,
So wehmutsvoll wie Abendstimmen,
So milde wie ein Schlummerlied.
Es weht mir zu aus allen Wegen,
Im Sturmgebraus, im Flüsterwind,
Und selbst im Traume klingt es wieder:
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!"
2. Wenn nach des Tages muntern Spielen
Der Knabe müd zur Ruhe ging,
Nach manchem Drohen erst und Bitten,
Ob auch der Schlaf am Auge hing,
Dann rief ich's von der letzten Stiege
Hinunter noch einmal geschwind,
Und fröhlich kam die Antwort wieder —
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!"
3. Und saß der Jüngling bei den Büchern,
Ob noch so spät sein Blick auch glitt
Von Blatt zu Blatt hin, eifrig forschend,
Ich hörte doch den leisen Tritt,
Das Lauschen an der Türe hört' ich,
Ich wußte, wer da sorgt und sinnt;
Hinüber und herüber klang es:
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, Kind!"
4. Dann kam die Zeit, da ich gesessen
An deinem Bett, wie lang, wie oft!
Hielt deine bleiche Hand umschlungen
Und hab' verzagend noch gehofft;