Full text: [Abtheilung 2 = (Quarta, Tertia), [Schülerband]] (Abtheilung 2 = (Quarta, Tertia), [Schülerband])

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Ebene hinein erstreckt als Symbol seiner Herrschaft. Hier im Unter— 
harze ist die unerschöpfliche Schatzkammer des Malers und des Dich- 
ters; hier finden sich jene an geheimem Zauber und unvergleichlichem 
Reiz so reichen Plätze, die diesem nordischen Gebirge einen Weltruf 
erwarben; und ist die Erde hier im Innern weniger mit köstlichen 
Schätzen gefüllt, so ersetzt sie es im Uebermaß durch ihre äußere 
Herrlichkeit. Die traurige Tanne wechselt hier mit dem üppigsten 
Laubholze; hundertjährige Eichen wölben sich zum luftigen Dome, die 
schlanken Buchen bilden endlose Schattengänge, und die silberhäutigen 
Birken kränzen den Saum des Waldbaches und laden mit den flüstern⸗ 
den Stimmen ihrer leicht beweglichen Blätter zum kühlen Ruheplatze. 
An den Höhen zieht sich Ackerland in langen, wellenförmigen Bän— 
dern hinauf; Schafherden wandern langsam und gedrängt in den be⸗ 
grasten Thälern; Obstgärten kreisen die Dörfer ein, wenn auch später 
als in der Ebene reife Früchte spendend. 
Die Bewohner nähern sich in Form, Lebensweise und Beschäf— 
tigung den Nachbarn ihres Gebirges, und ihre Sprache schließt sich 
hier den niedersächsischen, dort den oberdeutschen Dialekten an. Doch 
auch hier, wie überall im Harze, empfängt den Fremden altger— 
manische Gastlichkeit, jene Treuherzigleit, welche den Gast schnell mit 
dem Wirte befreundet und beiden das Scheiden verbittert; und mit 
ihnen verbindet sich ein natürlicher Hang zur Geselligkeit, wie er 
nur in freundlichen, freien, offenen und zufriedenen Herzen erblüht, 
der früherhin sich nicht schrecken ließ durch den gefährlichen Fuß⸗ 
weg, durch den engen Pfad am Rande der Abgründe, der jetzt durch 
die neuerdings überall durchgezogenen bequemen Kunststraßen für Pferd 
und Wagen jeder Art die gewünschte Erleichterung findet und der 
selbst im Winter, wenn der Schnee mannshoch sich häuft und die 
Tannenwälder, mit ungeheuren Grabtüchern bedeckt, in todter 
Majestät schaurig daliegen, im Hinderniß einen Sporn findet, mit 
dem weithin klingenden Schellengeläute fliegender Schlitten die öde 
Wildniß belebt und Ort mit Ort, Freund mit Freund zu fröhlichen 
Festabenden verknüpft. 
Welche Mannigfaltigkeit von Genüssen und Ergötzlichkeiten eine 
Wanderung durch solche Gegenden für jedes Gemüth, das die noth— 
wendige Empfänglichkeit dafür mitbringt, darbeut, läßt sich schon aus 
dem Gesagten abnehmen. Jeder Geschmack wird nicht leer ausgehen.
	        
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