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Die Studierenden in Athen.
und doch eilte man — von dem heiligen Orte hinweg zu Wettrennen und Spazier-
gängen.
Diesen Heißhunger nach Vergnügungen suchte nun Chrysostomus auf die Mildtätigkeit
hinzulenken, welche er als einen Hafen betrachtete, der alle Schiffbrüchigen, welchen Landes
und Volkes sie auch sein mögen, schützend aufnimmt; er wies hin auf die Gastfreiheit Abra¬
hams, der die drei Wanderer aufnahm, ohne zu fragen, wer sie seien; denn ihre Bedürftig-
feit empfahl sie ihm zur Genüge; wir müssen, sagte er, im Unglücklichen seine Menschennatur
ehren, nicht das Verdienst seiner Handlungen und seines Glaubens. Als dieser größte und-
gewaltigste Redner seiner Zeit, der trefflichste Ausleger des heiligen Paulus, zum Patriarchen
von Konstantinopel erhoben worden war (398), reformierte er die ihm untergebenen Kirchen
und strebte, die Häretiker zum wahren Glauben zurückzuführen. Er starb im Exil, weil er
als zweiter Johannes der Täufer die Kaiserin Eudoxia wegen ihrer Sittenlosigkeit mit aller
Kraft seiner Beredsamkeit getadelt halte.
Basilius der Große.
Von Pontus, wo seine Großeltern der letzten Diokletianischen Verfolgung sich durch die
Flucht entzogen und lange in der Verborgenheit gelebt hatten, wurde Basilius seiner Studien
wegen nach Cäsarea, hierauf nach Konstantinopel und endlich nach Athen gesandt. Hier zeigte
er schon im Jünglingsalter Ernst und männliche Reife, tadelte die Leichtfertigkeit der Bürger
und die Streitsucht der Studierenden, die bei einem übereifrigen Streben nach Wahrheit die¬
selbe mit Fanatismus verteidigten und für ihre Lehrer Partei nahmen, wie die Gläubigen
für ihre Bischöfe, die Plebs für die Wagenlenker des Zirkus. „In Athen," erzählt Gregor
von Nazianz, der innigste Freund des Basilius, „gleichen die Schulen geräuschvollen Amphi-
theatern, wo die leidenschaftlichen Zuschauer inmitten einer Staubwolke sich unruhig hin.
und her bewegen, mit ihren Gebärden die Bewegungen der Wagenlenker verfolgen, die Luft
mit ihrem Geschrei erschüttern, die Finger ausstrecken, als könnten sie dadurch den Atem der
Renner verlängern, und obgleich sie weit von der Rennbahn entfernt sind, diesen Wagenlenker
antreiben, jenen zurückhalten, über Pferde, Lenker, Bahn und alles Mögliche ihr Urteil ab¬
geben. Wer aber tut alles dies? Ein Haufen Müßiggänger, die keinen Tag zu leben haben.
Das sind die Studierenden in Athen mit ihren Lehrern und deren Nacheiferern. Nachdem
sie sich einmal zu einer Schule bekannt haben, ist es ihre höchste Sorge, die Menge der Schüler
und den Nutzen des Lehrers selbst durch die unvernünftigsten und unanständigsten Mittel zu
vermehren; sie besetzen Straßen, Tore, die Gegend, alle Wege, welche aus der Provinz nach
der Stadt führen, und kaum hat ein Jüngling den Boden von Attika betreten, fällt er dem
ersten Besten anheim, der sich seiner Person bemächtigt. Die Sache ist halb ernst halb komisch.
Man führt zunächst den neuen Ankömmling nach der Wohnung irgend eines Freundes oder
derjenigen des beliebtesten Sophisten; da regnet es auf ihn Witze und Spitzfindigkeiten herab,
um ihn kleinmütig zu machen und seine Ansprüche herabzustimmen, und bei diesem Sturme
zeigt sich je nach der Erziehung, die er empfangen hat, die Kraft feines Geistes und seines
Charakters. Wem dieser Gebrauch gänzlich fremd ist, wird dadurch erschreckt oder beleidigt;
wer aber darauf vorbereitet ist, findet dabei Unterhaltung, weil das Drohen und Schwätzen
bei weitem das Gefährlichste an der Sache ist. Der Neuangekommene wird sodann über
den öffentlichen Platz, wo die Begleitung sich in Doppelreihen entfaltet, nach dem Bade
geführt; ist man dessen Schwelle nahe, so stoßen alle zusammen, wie von einer plötzlichen