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Zeit der Heuernte spinnfähig wird, haben sich bereits die Knospen
zur Blüte entfaltet. Die heiße Sonne brennt dann das Räupchen
bald zu Tode, da es ihm an Schutz fehlt. Verpuppt sich aber der
Heuwurm, so entsteht daraus noch in demselben Jahre ein kleiner
Schmetterling, der wieder Eier legt. Aus diesen werden abermals
Räupchen, die sich das Mark der jungen Trauben und die noch
weichen Kerne gut schmecken lassen. Eine so angefressene Beere
bleibt im Wachstum zurück, wird nicht reif und schmeckt daher
sauer. Aus diesem Grunde heißt das zweite Geschlecht dieses sehr
schädlichen Insekts auch Sauerwurm.
So hat der Winzer das ganze Jahr hindurch viel und beschwerliche
Arbeit, und mancher Herbst bringt ihm keine oder nur geringe
Ernte. Doch das hindert ihn nicht, unausgesetzt seine Weinberge
mit Fleiß und Sorgfalt zu bearbeiten. Ein „voller Herbst" ent¬
schädigt ihn auf manche Jahre, und gar fröhlich geht es dann bei
der Weinlese zu. Sie dauert von Mitte Oktober bis Ende November.
Sobald im Nachsommer die Trauben genießbar werden, schließt
die Ortspolizei die Weinberge, das heißt, das Betreten der Wein¬
berge darf nur mit besonderer Erlaubnis erfolgen. Inzwischen werden
Bütten, Fässer und Keltern zurechtgemacht, und von der Bürger¬
meisterei wird der Beginn der Lese festgesetzt; denn dem einzelnen
ist es nicht gestattet, seine Lese zu beginnen, wann er will. Bei
gutem Wetter wartet man so lange, als es nur möglich ist, denn
jeder warme Herbsttag macht die Trauben reifer und edler.
Gar lustig geht es bei der Lese zu. Die Schulkinder bekommen
Ferien und helfen gerne mit. Der Aufseher ermuntert die Leser,
bei ihrer Arbeit recht fleißig zu singen, und bald ertönt es: „Nur
am Rhein, da möcht’ ich leben, nur am Rhein geboren sein, wo die
Berge tragen Reben und die Reben goldnen Wein", oder wie die
vielen Rheinlieder alle heißen. Den Burschen und Männern schenkt
man Pfeifen und Tabak, denn durch das Singen und Tabakrauchen
sucht man zu verhindern, daß allzu viele edle Trauben statt in
die kleinen Lesebüttchen in den Mund der Leser ihren Weg finden.
Jeder Leser nimmt eine Reihe der Reben vor, untersucht Stock
für Stock, schneidet mit einer kleinen Schere die Trauben ab und
achtet darauf, daß er „sauber liest", das heißt keine Trauben hängen
läßt. Er entfernt schlechte Beeren und legt die Trauben in ein kleines