Full text: [Teil 5 = Obertertia, [Schülerband]] (Teil 5 = Obertertia, [Schülerband])

A. Prosa. 
I. Erzählungen. 
1. Friede aus Lrden. 
Ls gibt ein Dörflein, liegt also fernab von aller Welt, daß gute und 
schlechte Mär zwei Monate später dorthin kommt, als sonst an irgendeinen 
Fleck in deutschen Landen. So geschah es, daß man um die Weihnachtszeit 
des Jahres 1648 in selbigem Dorfe noch nicht wußte, daß nach dreißig¬ 
jährigem Kriegsjammer Friede geworden war im Vaterland, und doch 
hatten die Herren Gesandten zu Münster und Osnabrück schon am 25. Ok¬ 
tober mit umständlicher Feierlichkeit das letzte große Punktum gesetzt. Bald 
nach Martini zwar ist ein fahrender Geselle gekommen, der erzählte im 
Wirtshaus, es sei Fried' im Reich, und er selber habe gesehen, wie die 
Bauern drunten am Strom auf der Heerstraße ihre Schweine zu Markte 
getrieben hätten,' aber niemand glaubte es ihm. Liner holte den alten 
Schulmeister. Der fühlte dem Fremden auf den Zahn durch allerlei Fragen. 
Rls der Geselle erzählte, daß er auf der hohen Schule zu Padua gewesen 
sei, und daß man dort jetzt den Stoßdegen unter dem Rockschoß trage, da 
raunte der Schulmeister den andern zu: „Traut ihm nicht, 's ist ein La¬ 
teinischer," und schier gar hätte der Wandersmann für seine Friedensbot¬ 
schaft noch Schläge bekommen. 
So wähnten sich die Leute mitten im Krieg, wer etwas in Feld oder 
Wald zu schaffen hatte, nahm einen guten Gesellen mit. Rbwechselnd trugen 
sie das Feuerrohr, und ehe sie an die Rrbeit gingen, suchten sie das Um¬ 
land ab,- während der eine holz machte oder ackerte, stand der andere auf 
Wache. Einigemal hatten sich Gewappnete gezeigt; die wurden durch Schüsse 
vertrieben. Gb es versprengte Soldaten waren oder Raubgesindel, wußte 
man nicht. Rllsonntäglich fügte der Pfarrer dem großen Kirchengebet die 
Ritte um den edeln Frieden bei, und sonst alle andermal ließ er sein Lieb¬ 
lingslied singen: „Rch Gott, vom Himmel sieh darein, und laß es dich er¬ 
barmen!" Lr war stimmlos, seit ihm die Kroaten den Schwedentrunkh mit 
heißem Wasser gegeben hatten, und er hatte seitdem keine gute Stunde 
mehr. Über er versah noch seinen Dienst, und die Leute verstanden ihren 
Hirten, auch konnten sie sich alle nah zu ihm heransetzen. Krieg, Pest und 
Hunger hatten aufgeräumt. 
1) vgl. S. 103: Plünderung eines Bauernhofes. 
Lesebuch f. höhere Lehranstalten. V. 3. Nusl. 
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