Full text: Handbuch zur Einführung in die deutsche Litteratur mit Proben aus Poesie und Prosa (Teil 5 = Sekunda, [Schülerband])

Dritte Periode. 
1300—1500. 
Der Zustand des deutschen Reichs, welches seit dem Unter¬ 
gänge der Hohenstaufen durch fortwährende innere Kämpfe immer mehr 
geschwächt wurde und an Ansehen verlor, der Eigennutz der Kaiser, 
welche nur an die Vergrößerung ihrer Hausmacht pachten, die Ro¬ 
heit des Adels, der, anstatt ideale Zwecke zu verfolgen, Faustrecht übte 
und Stadt und Land plünderte, die Entartung der Geistlichen und 
allerhand äußere Unglücksfälle, wie Mißwachs, Hungersnot, Seuchen 
(schwarzer Tod) und anderes waren die Ursachen, welche seit dem Ende 
des dreizehnten Jahrhunderts sehr nachteilig auf die deutsche Poesie 
wirkten, sodaß diese allmählich von der Höhe herabsank, die sie im zwölften 
und dreizehnten Jahrhundert erreicht hatte. An Stelle der Dichter, 
welche sonst an den Höfen der Fürsten und auf den Ritterburgen gast¬ 
liche Aufnahme gefunden und hier durch ihre herrlichen Schöpfungen 
begeistert hatten, waren die Hofnarren getreten, höfische Sitte und Tugend 
war verloren gegangen und der edle Frauendienst zu einem unsittlichen 
Verhältnisse geworden. Die Wissenschaft nahm zwar in dieser Zeit durch 
Gründung von Schulen und Universitäten einen bedeutenden Aufschwung, 
aber auf das Volk und die deutsche Litteratur hatte sie deshalb keinen 
Einfluß, weil ihre Vertreter sich ausschließlich aus dem Gebiete des 
klassischen Altertums bewegten. 
In diesem allgemeinen Elende war es der in den Städten empor¬ 
blühende Bürgerstand, welcher die Pflege der Poesie übernahm. Sie 
sank aber, indem die Dichter mehr Gewicht auf die Form, als auf den 
Inhalt legten und Gegenstände wählten, denen im Gegensatz zu jenen 
großen nationalen Stoffen der Vorzeit der rechte Gehalt fehlte, um 
poetisch zu wirken und zu begeistern, immer tiefer und schließlich zur flachen 
Reimerei herab, wobei das reine Mittelhochdeutsche, die allgemeine Hof- 
nnd Dichtersprache des dreizehnten Jahrhunderts, sich in Dialekten verlor. 
a) Epik. Am auffälligsten zeigt sich der Niedergang auf dem Ge¬ 
biete des Epos. Weder das Volksepos, noch das Kunstepos wurde durch 
neue Schöpfungen bereichert; man arbeitete nur die alten Helden- und 
Rittergedichte in geistloser Weise um. Nur das Tierepos, welches in 
deutscher Sprache zuerst um die Mitte des zwölften Jahrhunderts von Hein¬
	        
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