Full text: Handbuch zur Einführung in die deutsche Litteratur mit Proben aus Poesie und Prosa (Teil 5 = Sekunda, [Schülerband])

Jmmermann. 507 
daß der Kerl die besten Pferde in der Gegend zieht und sie im Grunde, 
sozusagen, billig genug losschlägt." 
„Ein starres, widerhaariges Volk hier zu Lande, sagte der Receptor. 
„Ich bin erst vor kurzem aus Sachsen her versetzt und merke den Ab¬ 
stand. Dort wohnen die Leute beisammen, und deshalb müssen sie schon 
höflich und nachgiebig und bethulich miteinander sein. Aber hier sitzt 
ein jeder auf seinem Kampe/) hat sein Holz, sein Feld, seinen Wiesen¬ 
wachs um sich, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Darum halten 
sie auch auf ihre alten Schnurren und Faxen so steif, die anderwärts 
überall abgekommen sind. Was für Mühe habe ich schon mit den andern 
Bauern wegen der dummen Umschreibereien gehabt, aber dieser hier ist 
boch der schlimmste!" 
„Das kommt daher, Herr Receptor, weil er so reich ist, bemerkte 
der Pferdehändler. Mich wundert, daß Sie es mit den andern in der 
Bauerschaft ohne ihn durchgesetzt haben, denn der hier ist ihr General 
und Advokat und alles; sie richten sich in jeglicher Sache nach ihm. Er 
bückt sich vor keinem. Vorm Jahre kam ein Prinz hier durch; wie er 
den Hut vor dem abnahm, war es wahrhaftig, als wollte er sagen: 
„Du bist der, und ich bin der." Der Mistfink! Für die Stute sechs¬ 
undzwanzig Pistolen haben zu wollen! Aber das ist das Unglück, wenn 
der Bauer zu viel Vermögen kriegt. Wenn Sie dort durch das Eichholz 
hindurch sind, gehen Sie eine geschlagene halbe Glockenstunde durch seine 
Felder. Und alles bestellt, daß es nur so eine Art hat. Ich bin mit 
weiner Koppel vorgestern durch den Roggen und Weizen geritten, und 
Gott strafe mich, wenn was anderes als die Köpfe von den Pferden über 
die Ähren hinübersah. Ich dachte, ich würde ersaufen." 
„Woher hat er's denn?" fragte der Receptor. 
„O! rief der Pferdehändler, da liegen hier mehrere solcher Höfe 
herum, man heißt sie Oberhöfe; wenn die nicht manchen Edelmann aus¬ 
suchen, so will ich nicht Marx heißen. Das Erdreich ist von uralter 
Zeit zusammengeblieben. Und sparsam und fleißig ist der Nichtsnutz von 
leher gewesen, das muß man ihm lassen. Sie sahen ja, wie er sich ab- 
üscherte, nur um dem Schmied die paar Groschen Verdienst zu nehmen. 
Jetzt freit seine Tochter einen andern jungen Geldschlingel; die kriegt 
wit! Ich bin an der Leinwandkammer durchgegangen, der Flachs und 
bas Garn, das Gebild, die Wäsche und alle mögliche Kramerei ist bis 
unter die Decke gestopft. Und dazu giebt ihr der alte Schabhals noch 
bare sechstausend Thaler mit. Und blicken Sie nur um sich; ist es nicht 
hier, als ob man bei einem Grasen wäre?" 
Während der letzten Reden hatte der verdrießliche Pferdehändler 
sachte in die Geldkatze gegriffen und den zwanzig Goldstücken, gleich- 
') Kampe = ein mit Zaun oder Graben eingefaßtes Feldstück.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.