Vaterlandes Wohl auf Herrscherrechte verzichtet habe, und als füge er sich
ihrem Rufe, trotz seiner hohen Jahre und seiner Anhänglichkeit an das Über¬
kommene, in Gottes Namen. Wiederholt fuhr er sich mit dem Rücken der vom
Handschuh bedeckten rechten Hand über die Augen, seine trauen zu trocknen.
Still, in tiefer Rührung sah die Versammlung dieser Begrüßung, dieser 5
Verbrüderung zu. Unwillkürlich zog es jeden, die Nächststehenden zuerst, allen
voran den Grafen von Moltke, dem Kaiser die Huldigung darzubringen. Es
war nicht etwa eine Defiliercour — nichts derart war in der Festordnung
vorgesehen — es war das ursprüngliche Verlangen, die Gefühle des Herzens
auszudrücken, was die Versammelten an die Stufen leitete: so traten, in 10
Gruppen vereinigt, die Osfizierkorps, so die Militärgeistlichen, ebenso aber auch
einzelne vor, je nach.der auf den Hochtritt zuflutenden Bewegung, verbeugten
sich und schritten dann zur Seite. Aber diese Huldigung, unerwartet, un-
willkürlich, wie sie geschah, konnte nicht von allen Anwesenden gewärtigt
werden; ebendieselbe tiefe Bewegung, die aus der Versammung ihm entgegen-15
flutete, lenkte vielmehr die Schritte des Kaisers sehr bald in die Mitte der
Seinigen; er stieg die Stufen hinab und nahm im Saale selbst Glückwünsche
von allen Seiten entgegen; er wandte sich vornehmlich zu den mit dem
Eisernen Kreuz geschmückten Mannschaften längs der Fensterwaud, an die er
besonders gnädige Worte richtete; er nahm auch Meldungen von denjenigen 20
Offizieren entgegen, die am heutigen Festtage befördert waren. Gleich seinem
Vater verweilte der Kronprinz int Saale, mit heiterem, herzlichem Wort jeden,
den er ansprach, beglückend; schon die Anrede, die ein jeder zum ersten Male
anzuwenden sich beeiserte: „Kaiserliche Hoheit", gab dem hohen Herrn zu
mancher freudigen und leutseligen Äußerung Anlaß. Um dieser unvorher-25
gesehenen Verlängerung der Feier einen festlicheren Ausdruck zu geben, befahl
der Kronprinz dem Musikkorps des Königs-Grenadier-Regiments, im Vorsaal
Aufstellung §n nehmen und den Hohenfriedberger Marsch anzustimmen. Aber
so sehr waren der Kaiser und die Fürsten noch in der Unterredung mit den
sie umringenden Festgenossen begriffen, daß der zu lauten Musik sofort wieder 30
Einhalt geboten werden mußte. So, allmählich, durchschritt der greise Herr
in dem ihn beglückenden Vollgefühl, daß alle Herzen ihm entgegenschlugen,
von den Fürsten gefolgt, die Reihen, die sich ehrfurchtsvoll vor ihm öffneten.
Als er die Galerie verließ, erklang von neuem der von seinem Ahnherrn, von
König Friedrich dem Großen, gesetzte Hohenfriedberger Marsch und durch-35
tönte die französischen Prachtsäle, bis gegen 1 Uhr die letzten Festgäste sie ver¬
lassen hatten. — Mit einem ersten Kaiserhurra empfing den neuen Kaiser
die Leibwache im Vorsaal unter präsentiertem Gewehr — so kräftig, daß
Prinz Karl versicherte, in seinem Leben kein solches Hurra gehört zu haben.
Es pflanzte sich von Saal zu Saal fort. 40
Kaiser Wilhelm war in das Portal getreten, den von links vorfahrenden