Full text: [Untertertia, [Schülerband]] (Untertertia, [Schülerband])

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stehlicher Gewalt geltend, sobald die politischen Zustände erträglich geordnet 
waren; nach ihr zog sich das gesamte Rittertum des Mittelalters. 
Auch die germanische Kampfsreude, welche Rauferei und Schwertschlag 
um ihrer selbst willen liebt, war dem Südländer zu allen Zeiten fremd, 
höchstens an den Kelten und an seinen Gladiatoren, unehrlichen Männern, 
sah er etwas Ähnliches. Der Germane aber vergaß über dem persönlichen 
Ruhm, den ihm der Sieg über einen starken Gegner brachte, sehr häufig, 
nach dem praktischen Nutzen oder Schaden zu fragen, den das Wagnis des 
Kampfes ihm bringen konnte. Den höchsten Preis im Liede hatte der Über¬ 
wut, welcher das Leben für den Ruhm einsetzte, auch wo Rettung ohne 
Todesgefahr möglich war. 
Auf der Fahrt zu Attila künden die Wasserfrauen dem Hagene/) daß 
deiner von seinem Volk über den Strom zurückkommen werde, außer einer, 
wn unkriegerischer Mann. Da wirft der Held, um den Spruch unwahr zu 
wachen, den einen während der Überfahrt in die Flut. Und als er sieht, daß 
der Mann in Wahrheit das rettende Ufer erreicht, da stößt er, sobald sein 
Haufe gelandet ist, die Fähre zurück in den Strvm, und als ihn der König 
darum schilt, sagt er kalt: „Wir bedürfen der Fähre nimmer, die Frauen 
haben Wahrheit gesprochen, keiner von uns kehrt zurück." Und von da reizt 
die Hunnen und die feindliche Königin durch Wort und Tat bis zum 
äußersten; er schweigt gegen den gastfreien König Attila, ein Wort kann das 
Schicksal lenken, er und die Seinen sind zu stolz, es auszusprechen. Sie 
fordern den Tod heraus, und noch im Kerker höhnen sie die arge Königin, 
sie wollen sterben. Kein Held der Ilias reicht nur entfernt an die furchtbare 
Heldenhärte solcher Gesinnung. 
Aber in Wirklichkeit empfand der Germane während der Wanderzeit 
doch anders. Bei der sinnenden Beschaulichkeit seiner Natur, welche ihn 
geneigt macht, über sein Recht und Unrecht zu grübeln, gelingt ihm gar nicht 
Ieici)t, im Unglück feste Ruhe zu bewahren. Hochfahrend ist sein Mut int 
Glücke und gesteigert sein Wesen in Kamps und Männertat, Niederlage be¬ 
dachtet er als Vergeltung für begangenes Unrecht, als Zorn der Götter, 
uls Untergang seiner besten Habe, der Ehre. Deshalb wird seine innere 
Riederlage wohl größer, als die sichtbare; wer nicht von eisenfestem Gefüge 
sii, der bricht unter der Last solcher Leiden schneller zusammen als ein L>üd- 
löttfrer. Mehr als einer der besiegten Könige, welche durch römische Politik 
w Italien interniert wurden, verdarb in wüster Schlemmerei. Sie waren 
innerlich gebrochen und hatten sich selbst ausgegeben. Nach einer verlorenen 
Schlacht wurden die Männer der Germanen zuweilen schwächer, als die 
grauen. Den Römern blieb unverständlich, was in solchen Stunden durch 
das Herz der Germanen zog. Als der greise Vandalenkönig Gelimer sich 
0 Im Anfang des 2. Teiles des Nibelungenliedes; Attila ist der Etzel des Liedes. 
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