Johann Wolfgang von Goethe.
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3. Keimst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! O Vater, lass' uns ziehn!
Das Veilchen.
1. Ein Veilchen auf der Wiese stand,
Gebückt in sich und unbekannt:
Es war ein herzig's Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin
Mit leichtem Schritt und mun-
trem Sinn
Daher, daher,
Die Wiese her und sang.
2. Ach, denkt das Veilchen, wär' ich
nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
Ein Viertelstündchen lang!
3. Ach, aber ach, das Mädchen kam
Und nicht in acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sank und sprach und freut' sich noch:
Und sterb' ich denn, so sterb' ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füßen doch.
Heidenröslein
1. Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein aus der Heiden;
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
2. Knabe sprach: „Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!"
Röslein sprach: „Ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich,
j Und ich will's nicht leiden."
Röslein, Röslein, Röslein rot,
| Röslein auf der Heiden.
3. Und der wilde Knabe brach
's Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt' es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein aus der Heiden.