Freytag: Eine Frankenstadt zur Zeit der Merowinger.
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weltumfassenden Blick. Zwar wissenschaftliche Bildung besaßen sie
noch nicht, und Griechen und Römer bezeichneten sie deshalb als
Barbaren. Selbst Theoderich der Große konnte nicht schreiben und
unterzeichnete seinen Namen, indem er mit schwarzer Farbe über eine
Schablone strich, in welche dieser eingeschnitten war. Aber trotzdem
paßt der Name von Barbaren im heutigen Sinne nicht mehr auf
diese Völker. Ihre schon ursprünglich so schöne, klangvolle Sprache
war bereits durch die Poesie weiter entwickelt und gebildet. Und
die Sprache war ein mächtiges Band, das alle diese Völker zusammen¬
hielt. Sänger zogen von einem Königshofe zum andern: und was
zu Ravenna vor Theoderich gesungen wurde, das sonnte in Karthago
bei den Vandalen, in Paris bei Chlodovech, in Burg-Scheidungen
bei den Thüringen gleichfalls vorgetragen und verstanden werden.
Boten, Gesandtschaften und Briefe gingen und kamen von einem Hofe
zum andern; Geschenke wurden gewechselt, Ehen und Bündnisse wurden
geknüpft. So wußten diese Völker voneinander und kannten ihre
Zusammengehörigkeit. Aus diesem Wechselverkehr entstand schon da¬
mals das Heldenlied, eine treue Erinnerung an die großen Thaten
deutscher Helden in der Zeit der Völkerwanderung: aber die Dichtung
gestaltet in kühner Weise die Ereignisse um und rückt zusammen, was
in der Wirklichkeit um ganze Menschenalter auseinander liegt, was
weite Räume voneinander trennen, sie mischt Sage und Geschichte.
So singt sie von Ermanarich, von Theoderich dein Großen (dem
starken Dietrich von Berne), von seinem treuen Rittersmann Hilde¬
brand, ferner vom Fall der Burgundenkönige, vom weitherrschenden
Etzel und von Sigurd oder Siegfried, der ursprünglich ein nordischer
Frühlingsgott, jetzt ein jugendlicher Held ist, treu und kindlich, arglos
und doch gewaltig wie keiner — das vollendete Abbild des deutschen
Charakters. David Müller.
34. Eine ^rankenstadt zur Zeit der Merowinger.
Viele große Römerstädte waren zerstört, das kaiserliche Trier,
das goldene Mainz, Worms, Speyer, Straßburg lagen in Trümmern,
sie waren von fränkischen und alemannischen Bauern besetzt; auf
altem Mosaikboden schritt der Haushahn, und im Triklinium stand
die Häcksellade. Auch südlich von der Donau waren Regensburg
und Augsburg schwerlich Besseres, als ein Haufe von Dorfhäusern
und zerschlagenen Römerbauten in halb zerstörter Stadtmauer. Andere