Robert Schumann an seine Mutter.
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Den Morgen nach Schillers Tode schien der Jammer recht
bei den Einwohnern Weimars eingekehrt. So wie das Unglück alle
Menschen, die von ihm getroffen sind, verbrüdert, so teilten sich un¬
bekannte Menschen, die sich begegneten, ihren Schmerz durch Gruß
und Mienen mit. Es war, als ob wir alle einen gemeinschaftlichen
Vater verloren hätten. Keiner hatte in seinem Hause Ruhe. Wir
irrten alle auf den Straßen und im Parke umher. — Solange als
Baldur, der Gott der Güte, unter den nordischen Göttern weilte,
war Friede und ein einiges Band unter ihnen; kaum aber war der
vom Genius der Geschicke hinweggerafft, so zerfiel der Götterkreis,
die Einigkeit schwand, und es herrschte Angst, Trauer und Verzweiflung.
Wohl denen, die in der Erinnerung einen lindernden Balsam für
ihre Wunden finden können! In der Erinnerung wird jede Kleinigkeit,
die einen geliebten Gegenstand betrifft, bedeutend. Alles reiht sich an
einen durchgehenden Faden an, und um das vollständig gesammelte
Bild schöner Anschauungen zieht sich ein Heiligenschein. Täglich
sprechen wir vorn Verewigten im Schillerschen Hause. Jede Kleinig¬
keit wird wiederholt und von neuem erzählt. Mir ist, als beträte ich
einen Tempel, so oft ich in das Schillersche Haus gehe; und wird
nicht ein Tempel erst durch heilige Gesinnungen, die man mitbringt?
93. Robert Schumann an seine Mutter.
Leipzig, am 8. August 1831.
„Vergiß mich nicht ganz," waren Deine Worte beim letzten Ab¬
schied, meine gute Mutter! Acht Wochen sind seitdem vergangen,
und Du hast wohl Ursache, Deine letzten Worte jetzt in einem Sinn
auszulegen, der mich erröten machen könnte. Wenn ich Dir sagen
wollte, ich hätte vor lauter Arbeit und Fleiß kaum gewußt, was ich
mit der Zeit anfangen sollte, so würdest Du's schwerlich glauben —
und doch ist's so, — wenn ich Dir aber sage: Nimm's nicht böse —
ich habe gefehlt — so drückst Du mir vielleicht wieder die Hand so
herzlich, wie sonst, wenn ich kam und gefehlt hatte.
Nun ist aber heute der Himmel so schön blau, daß ich so recht
eigentlich jemanden haben möchte, dem ich's sagen könnte, wie glück¬
lich und sommerlich es in mir aussieht, wie mein inneres, ruhiges
Kuustleben alle Leidenschaften zurückdrängt, wie ich mich oft minuten¬
lang auf der Spitze eines Ideals für die Zukunft drehen kann, mit
einen: Worte, wie ich manchmal recht den Augenblick der Gegenwart