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I. Erzählungen.
herrlich gebaute Violine, besah sie noch einmal nach allen Seiten
und sagte dann: „Alle Töne, die in dir sind, sollen schlafen und
schlummern, aber an einem Weihnachtsheiligabend sollen sie einmal
geweckt werden, und dann werden sie dem Besitzer großes Glück
bringen." Bald darauf entschlief der Meister, aber die Seinen
zeichneten diese letzten Worte auf, und der Zettel wurde an der
Violine angebracht. So ging sie in der Familie von Hand zu Hand,
aber ihre Töne waren hart und herb; so viele Meister sie in der
Hand hatten, jeder legte sie wieder weg und sagte: „Das ist sein
Lebtage keine Amati." So kam die Geige an einen armen Nach¬
kommen, der mit einer wandernden Bande nach Deutschland zog.
Er war schon ein alter Mann, den sein einziges Kind, ein Mädchen
von zwanzig Jahren, begleitete; er hatte sie nicht zurücklassen wollen,
als die Mutter starb. In einer Stadt des Nordens erkrankte der
alte Geiger schwer, die Bande zog weiter und ließ ihn zurück.
Das Ersparte ging nach und nach darauf, der Mann stand von der
Krankheit wohl aus, aber er blieb seelengestört und halb wirr.
Sein einziger lichter Gedanke mar, daß einmal noch die Töne aus
seiner Amatigeige frei würden. Drum konnte er sick von ihr nicht
trennen, wiewohl ihm der Hunger oft bis an die Seele ging, und
die Violine noch das einzige Stück zum Verkaufen war. Aber
der Gedanke, daß dann bei einem anderen als ihm die Töne frei
werden könnten, ließ ihn lieber das Ärgste ertragen. „Ich werde
euch dreißig Thaler geben für das schlechte Instrument, weil ihr
es seid, Giovanni," sagte ein Händler zu ihm im Anfang des
Dezember. Aber jetzt, wo wieder ein Weihnachtsheiligabend
nahte — nein, das konnte er nicht. Jedesmal klopfte ihm das
Herz, wenn's der Weihnacht zuging, ob nicht an dieser das Testa¬
ment erfüllt würde. So kam diese Weihnacht heran. Das Mädchen
saß und stickte sich bei der trüben Öllampe die Augen fast aus,
um nur die paar Kohlen zu verdienen, die den Ofen heizten und
das spärliche Mittagsbrot ermöglichten. Draußen stürmte es, und
die Schneeflocken jagten herunter. Da nahm der Alte seine Geige.
„Ihr wollt doch nicht fort bei diesem Wetter, Vater? Es ist
ja so bitterkalt, und ihr habt keinen Mantel!" sagte die Tochter.
„Du weißt, es ist Weihnachtsheiligabend. Heute oder nie muß
die Violine die Töne hergeben. Du weißt, daß unsere Not aufs
höchste gestiegen ist. Ich kann nicht mehr zusehen, wie du deine
schönen Augen verdirbst, Anrella. Noch einmal lasse mich's ver¬