Full text: [Abteilung 1 = Unter-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 1 = Unter-Tertia, [Schülerband])

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Da erwogen Ludwig und Hartmut, ob es nicht besser sei, heimlich zu 
entfliehen, und ihr Rat gefiel den Normannen; denn sie fühlten sich zu 
schwach, noch länger den Friesen zu widerstehen. Während sie zum Scheine 
ihre Lagerfeuer unterhielten und etliche ein großes Getöse machten, als ob 
das ganze Heer sich zur Nachtruhe anschickte, schifften die meisten sich 
heimlich ein, und leise wurden die entführten Jungfrauen auf die Barken 
gebracht. So kamen die normannischen Recken, ohne daß die Friesen es 
ahnten, mit großer List auf das Meer; leise tauchten sie die Ruder ein, 
solange sie in der Nähe des Wülpensandes waren, dann aber wurden 
bei der frischen Brise die Segel gehißt, und rasch flogen die schlanken 
Barken der Normandie zu. Als am andern Morgen die Friesen sich 
zu neuem Streite erhoben, gewahrten sie den feigen Treubruch; nur 
ausgebrannte Lagerfeuer fanden sie, wo sie die Feinde mit der Königs— 
tochter und dem geraubten Schatze zu finden hofften. 
Der alte Wate stampfte mit dem Fuß und wollte in großem Zorn 
die Wasserbahn der Feinde verfolgen. Doch der kluge Frute riet zur 
Heimkehr. Zuvor aber lasen sie alle Toten auf von der Walstatt, Friesen 
wie Moorländer und Normannen, und begruben sie mit gebührenden 
Ehren. 
c) Wie Gudrun dienen mußte. 
Als die Normannen im heimatlichen Hafen landeten, kamen ihnen 
Gerlinde und ihre liebliche Tochter Ortrun mit großem Gefolge ent— 
gegen. Hartmut ergriff Gudruns Hand und führte sie freudig seiner 
Mutter zu, Gudrun widerstrebte nicht, aber zögernd folgte ihr Fuß. 
Da eilte Ortrun voraus, umfing die heimatlose Waise, küßte sie mit 
weinenden Augen und faßte freundlich ihre weiße Hand. Das war der 
erste Freudenstrahl, der in Gudruns Kummer fiel; dankbar blickte sie 
der schönen Ortrun ins Auge und erwiderte ihren Kuß. Als aber auch 
die lauernde Gerlinde jetzt herantrat, um Gudrun zu küssen, da wich 
mit Unmut die stolze Jungfrau zurück und sprach: ‚Nach dir habe ich 
nicht verlangt; du hast nicht so an mir gehandelt, daß du mich küssen 
dürftest. Bebend vor Zorn wandte die alte Königin ihr den Rücken; 
ein wilder Haß funkelte in ihrem Auge. 
So trat Gudrun als eine Fremde und Heimatlose in die Normannen— 
burg ein, mit der Seele suchte sie immer die Lieben daheim. Für keinen 
der Normannen hatte sie einen freundlichen Blick, nur auf Ortrun schaute 
sie oft mit zärtlicher Dankbarkeit. Denn die war ihr gegenüber alles 
Arges frei, und mit holder Freundlichkeit wollte sie ihr helfen, daß sie 
die neue Heimat liebgewänne. Der Sommer verging, die Stürme wehten 
das Laub von den Bäumen, aber die arme Jungfrau blieb ihren Ent— 
führern fremd. Sie hielt fest an Herwig und wendete sich ab von dem, 
dessen Vater den ihrigen erschlagen hatte. Gerlinde war es gewesen, die
	        
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