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Da erwogen Ludwig und Hartmut, ob es nicht besser sei, heimlich zu
entfliehen, und ihr Rat gefiel den Normannen; denn sie fühlten sich zu
schwach, noch länger den Friesen zu widerstehen. Während sie zum Scheine
ihre Lagerfeuer unterhielten und etliche ein großes Getöse machten, als ob
das ganze Heer sich zur Nachtruhe anschickte, schifften die meisten sich
heimlich ein, und leise wurden die entführten Jungfrauen auf die Barken
gebracht. So kamen die normannischen Recken, ohne daß die Friesen es
ahnten, mit großer List auf das Meer; leise tauchten sie die Ruder ein,
solange sie in der Nähe des Wülpensandes waren, dann aber wurden
bei der frischen Brise die Segel gehißt, und rasch flogen die schlanken
Barken der Normandie zu. Als am andern Morgen die Friesen sich
zu neuem Streite erhoben, gewahrten sie den feigen Treubruch; nur
ausgebrannte Lagerfeuer fanden sie, wo sie die Feinde mit der Königs—
tochter und dem geraubten Schatze zu finden hofften.
Der alte Wate stampfte mit dem Fuß und wollte in großem Zorn
die Wasserbahn der Feinde verfolgen. Doch der kluge Frute riet zur
Heimkehr. Zuvor aber lasen sie alle Toten auf von der Walstatt, Friesen
wie Moorländer und Normannen, und begruben sie mit gebührenden
Ehren.
c) Wie Gudrun dienen mußte.
Als die Normannen im heimatlichen Hafen landeten, kamen ihnen
Gerlinde und ihre liebliche Tochter Ortrun mit großem Gefolge ent—
gegen. Hartmut ergriff Gudruns Hand und führte sie freudig seiner
Mutter zu, Gudrun widerstrebte nicht, aber zögernd folgte ihr Fuß.
Da eilte Ortrun voraus, umfing die heimatlose Waise, küßte sie mit
weinenden Augen und faßte freundlich ihre weiße Hand. Das war der
erste Freudenstrahl, der in Gudruns Kummer fiel; dankbar blickte sie
der schönen Ortrun ins Auge und erwiderte ihren Kuß. Als aber auch
die lauernde Gerlinde jetzt herantrat, um Gudrun zu küssen, da wich
mit Unmut die stolze Jungfrau zurück und sprach: ‚Nach dir habe ich
nicht verlangt; du hast nicht so an mir gehandelt, daß du mich küssen
dürftest. Bebend vor Zorn wandte die alte Königin ihr den Rücken;
ein wilder Haß funkelte in ihrem Auge.
So trat Gudrun als eine Fremde und Heimatlose in die Normannen—
burg ein, mit der Seele suchte sie immer die Lieben daheim. Für keinen
der Normannen hatte sie einen freundlichen Blick, nur auf Ortrun schaute
sie oft mit zärtlicher Dankbarkeit. Denn die war ihr gegenüber alles
Arges frei, und mit holder Freundlichkeit wollte sie ihr helfen, daß sie
die neue Heimat liebgewänne. Der Sommer verging, die Stürme wehten
das Laub von den Bäumen, aber die arme Jungfrau blieb ihren Ent—
führern fremd. Sie hielt fest an Herwig und wendete sich ab von dem,
dessen Vater den ihrigen erschlagen hatte. Gerlinde war es gewesen, die