Full text: [Theil 6, [Schülerband]] (Theil 6, [Schülerband])

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die besten Bissen dicht vor die Nase; sie braucht nur das Maul 
aufzuthun, und während sie speist, wedelt das Kind ihr mit dem 
Lanbzweig die Fliegen ab wie einem ostindischen Sultan. 
Alle Ungewitter mit Donnern, Blitzen und Hagelschlag mußte 
das Rind ehedem im Freien aushalten. In der Todesangst rannten 
die Thiere blind in die finstere Nacht hinein, nnb viele stürzten sich 
kläglich zu Tode; — jetzt sind sie zur Nachtzeit oder beim Unwetter 
im sichern Stalle und merken kaum etwas davon, was draußen 
vorgeht. Es kam ihnen ehedem wohl auch hie und da einmal ein 
Kleeblümchen mit vor, denn einige Arten davon wuchsen schon wild 
auf Wiese und Anger; aber jetzt baut der Landmaun fürs „liebe 
Vieh" weite, breite Felder voll vom schönsten rothen Kopfklee, der 
purer Honig ist, daneben blauen Luzern, rosenrothen Esparset, 
spanische Seradelle, Runkelrüben, Wicken und Hafer. Deckt draußen 
der Schnee das ganze Gefild, und heult der grimmige Sturm um 
die Giebel, so hat das Rind im warmen Stalle die Krippe voll 
prächtiges Heu. Da ist weder von Hunger noch von Todesangst 
und Nöthen die Rede. Natürlich muß das Rind aber auch mit¬ 
unter ein wenig mithelfen, wenn der Landmann nicht reich genug 
ist, um Pferde zu seiner Bedienung halten zu können. Die Kuh 
muß den Pflug und die Egge ziehen und der Ochse den Wagen. 
Es ist für den starken Burschen aber immer besser, er schafft mit 
seinen Hörnern und seinem kräftigen Kopfe etwas Nützliches, was 
ihm selbst auch wieder zugute kommt, als daß er seine Kraft nur 
verwende, sich mit seinen Verwandten herum zu stoßen und das 
Leben dabei zu riskieren. Die Stärke hatte das Thier ehedem auch 
schon, aber erst nachdem der Mensch seinen Verstand dazu gab, 
ward etwas Vernünftiges draus, das beiden zum Frommen gereicht. 
Wenn ehedem das wilde Rind von einer Krankheit befallen ward, 
so war es verloren. Seine Gefährten konnten ihm nicht helfen, 
achteten auch nicht auf seine Noth. Das Einzige, was sie für 
einander thun konnten, war, daß sie sich dicht zusammenstellten, so¬ 
bald Wölfe oder andere Raubthiere einen Angriff auf sie versuchten. 
Dann bildeten sie wohl einen Kreis und nahmen die Kälber und 
schwächeren Thiere in die Mitte, die alten Thiere hielten ringsum 
den Feinden die Hörner entgegen. Sie merkten aber das Nahen 
der Raubthiere durch den Geruch gewöhnlich nur bei trocknem Wetter; 
war dagegen Nebel oder Regen, so wurden sie leicht überfallen. 
Wird ein zahmes Stück Vieh krank, so ist der Landmann schnell 
bei der Hand, ihm zu helfen. Er kennt mancherlei Mittel, und 
wenn sein Wissen nicht ausreicht, so weiß der Hirt Rath oder der 
Thierarzt. Hat man ja doch besondere Schulen im Lande dazu 
eigens eingerichtet, daß Ärzte fürs Vieh dort gebildet werden.
	        
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