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53. Das Veilchen.
sie sich ermüdet über den Vorhang und kreuzt in Ruhe die langen Flügel.
Draußen singt die Gespielin und wendet das Köpfchen nach jenem Vögelchen,
das vorüberfliegt; nur einsilbig antwortet und wie verzagt die Gefangene; sie
sieht den klaren Himmel, die grüne Landschaft; sie schießt fort, ach! und stößt
den Kopf an den trügerischen Scheiben an, flattert und taumelt zu Boden.
Da hab' ich sie gefaßt; nur ruhig! warum zitterst du? bist du doch bei deiner
Hütte und in Freundes Hand; bist ja so oft mir um den Kopf geschwärmt,
ins Zimmer, hast deine Touren gemacht und alsdann munter dich wieder ins
Freie hinausgeschnellt und hast vom Dache herab dein süßes Liedchen hören
lassen. So keck blickt mich das Plattköpfchen mit seinen dunkeln kleinen Augen
an, öffnet gar das breite Schnäbelchen und weiset die gespaltene Zunge. Wie
es sich wehrt, das arme Ding! kratzt mit seinen Füßchen und den scharfen
Nägeln. Nein, ich thue dir nichts, bist doch so glatt und schmuck im stahlblauen
Gewände und dem weißen Schürzchen, ein wahres Hausvögelchen, von aller
Hoffart frei; das braune Stirnband und Brusttuch sind dein einziger Schmuck
und an deinem Federfächer die Reihe weißer Perlen. Nun will ich dich füttern,
in schönem Gitterkäfig dich bewahren, dich pflegen. — „Nein!" ruft der Vater,
„laß sie fliegen! häuslich ist sie und zutraulich, aber ans freie Element gewöhnt,
und nur bei ihren Kindern ist ihre Heimat. Mißbrauche das Vertrauen nicht
mit dem sie in dein Zimmer flog, zu dir sich rettete." Da öffne ich das Fenster
und schließe sachte die Hand auf. Die Schwalbe rührt sich nicht, nur ihre
Äuglein spielen; jetzt pfeifen die Jungen, sie hat ihre Stimme vernommen, ist
aufgeflogen, zieht einen Kreis in der Luft, hat eine Mücke weggeschnappt und
fliegt dem Neste zu.
Der Herbst geht vorüber, die Schwalben scharen sich an Teichen und
Seeen zusammen und fliegen auf, einer andern Heimat zu; mit ihnen zieht
meine Schwalbe und ihre Jungen. Der Winter wird frostig; manch scheues
Spätzchen naht, ihm werden Krumen vors Fenster gestreut; aber die Schwalbe
lebt fern und frei unter Citronen und Orangen und schwärmt um die Kronen
der Palmen. Und kommt der Frühling mit seinen linden Lüften, so bringt er
sie auch wieder heim; sie läßt von den Düften und der Pracht der Blumen,
von der Fülle des Reichtums sich nimmer zurückhalten, sie trotzt den Stürmen,
trotzt den Gewittern, überfliegt die Meere und findet die Hütte, findet ihr Nest-
chen bei ihren alten Bekannten. Ihr Lied begrüßt mich des Morgens früh, sie
kreiset wieder mit ihren Gespielen um das Dach, und sie helfen sich treulich
ihren Erker wieder bauen und ausbessern. R. meyer.
53. Das Veilchen.
Draußen an der Hecke, am Bergeshange, dort sitzt das Veilchen im Herbst
wie ein Kind, dem Vater und Mutter gestorben, verlassen und einsam. Kein