Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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83. Ansichten vom Niederrhein. 
tiefen Schatten auf das ebene, spiegelhelle Becken des Flusses, und in diesem 
Schatten ragte, durch einen zufälligen Sonnenblick erleuchtet, Hattos Turm weiß 
hervor, und die Klippen, an denen der Strom herunterrauscht, brachen ihn 
malerisch schön. Die Nahe, mit ihrer kühnen Brücke und der Burg an ihrem 
Ufer, glitt sanft an den Mauern von Bingen hinab, und die mächtigen Fluten 
des Rheins stürzten ihrer Umarmung entgegen. 
Wunderbar hat sich der Rhein zwischen den engen Thälern einen Weg ge¬ 
bahnt. Kaum begreift man auf den ersten Blick, warum er hier (bei Bingen) 
lieber zwischen die Felswände von Schiefer sich drängte, als sich in die flachere 
Gegend nach Kreuznach hin ergoß. Allein bald wird man bei genauerer Unter¬ 
suchung inne, daß in dieser Richtung die ganze Flüche allmählich steigt und 
wahrer Abhang eines Berges ist. Wenn es demnach überhaupt dem Natur¬ 
forscher ziemt, aus dem vorhandenen Wirklichen auf das vergangene Mögliche 
zu schließen, so scheint es denkbar, daß einst die Gewässer des Rheins von 
Bingen durch die Gebirgswände gestaucht und aufgehalten, erst hoch anschwellen, 
die ganze flache Gegend überschwemmen, bis über das Niveau der Felsen des 
Bingerlochs anwachsen und dann unaufhaltsam in der Richtung, die der Fluß 
noch jetzt nimmt, sich nordwärts darüber hinstürzen mußten. Allmählich wühlte 
sich das Wasser tiefer in das Felsenbett, und die flachere Gegend trat wieder 
aus demselben hervor. Dies vorausgesetzt, war vielleicht der Rheingau, ein 
Teil der Pfalz und der Bezirk um Mainz bis nach Oppenheim und Darmstadt 
einst eir^Landsee, bis jener Damm des Binger Felsenthales überwältigt ward, 
und der Strom einen Abfluß hatte. 
Der stärkere Wein, den der Rheingau hervorbringt, wächst nicht mehr 
jenseit der Enge von Bingen. Die Richtung des Flusses von Morgen gegen 
Abend durch den ganzen Rheingau giebt den dortigen Rebenhügeln die beste 
Lage gegen den Strahl der mittägigen Sonne, und die Gestalt des östlichen 
Gebirges, das auf seiner Oberfläche beinahe ganz eben ist, trägt vieles zur 
vorzüglichen Wärme dieses von der Natur begünstigten Thales bei. Der Nord- 
und der Ostwind stürzen sich, wenn sie über jene erhabene Fläche herstreichen 
und an den Rand derselben kommen, nicht geradezu hinab, sondern äußern erst 
ihre meiste Kraft auf der entgegengesetzten Seite des Flusses; das Thal un¬ 
mittelbar unter dem Berge berühren sie kaum. Was für Einfluß die mine¬ 
ralischen Bestandteile des Erdreichs auf die Eigenschaften des Weins haben 
können, ist noch nicht entschieden. Je weniger man über diesen Punkt weiß 
und bestimmt wissen kann, desto weiter treibt die grübelnde Hypothesensucht ihr 
Spiel damit. Hier darf sie sich keck auf ihre empirische Weisheit berufen; 
denn sie kann sich vor Widerlegungen wenigstens so lange sicher stellen, als man 
nicht Erfahrung gegen Erfahrung aufzuweisen hat. So viel ist indes immer 
an der Sache, daß, wo alle übrigen Umstände völlig gleich sind und nun doch
	        
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