Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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9t). Calverl an Harry. 
Horizont vor uns leuchtete matt das weiße Gestade von England. Der Himmel 
wehte düster, wie ein graues Tuch. Der Wind rasete, aber kein Tropfen des 
Regens fiel. Ein Mast lag gebrochen. Die Wellen wandelten wie glänzende 
Berge und donnerten zerschäumend. Einige Matrosen schrieen und fluchten, andere 
standen wie stumme Todesbilder. In der Mitte des Fahrzeugs erblickte ich 
einen Greis in schwarzen Kleidern mit schneeweißen Haaren, die der Sturm 
zerriß, eine hohe majestätische Gestalt. Mit der einen Hand hielt er sich an 
einem Schiffsseil, die andere hatte er auf das Haupt eines jungen Mädchens 
gelegt, welches auf den Knieen neben ihm halb ohnmächtig hingesunken war 
und seine Beine umklammerte. Sein Blick war ruhig gegen den Himmel ge¬ 
wandt, und mit langsamer, aber starker Stimme hob er plötzlich an: „Siehe, 
der Tag, siehe, er kommt daher, er bricht an! Alle Hände werden dahin sinken, 
und alle Kniee werden so ungewiß stehen wie Wasser, werden Säcke um sich 
gürten und mit Furcht überschüttet sein, und aller Angesicht jämmerlich sehen, 
und aller Häupter werden kahl sein. Sie werden ihr Silber hinaus auf die 
Gassen werfen und ihr Gold als einen Unflat achten; denn ihr Silber und 
Gold wird sie nicht erretten am Tage des Zorns des Herrn." 
Ich schauderte bei diesen Worten des Ezechiel. Der Alte selbst schien mir 
einer der ehrwürdigsten Propheten zu sein. Seine Furchtlosigkeit und dazu seine 
Rede waren entweder etwas Übermenschliches oder Wahnsinn. Indem über¬ 
rannte mich fast ein Matrose. „Wo ist der Kapitän, wo der Steuermann?" 
fragte ich, da ich keinen von beiden sah. — „Über Bord, eine Welle schlug 
über, das Steuer ist zerbrochen; fünf Mann sind verloren!" 
Jetzt erst ward mir unsere Gefahr hell. Ich sah noch einmal aus die 
Verwirrung im Schiffe, sprang über zum Steuerruder, fand es noch ganz unver¬ 
sehrt, bemächtigte mich desselben und gab dem Schiffe in seinem Fluge festere 
Richtung. Der Wind trieb gegen die englischen Küsten. Ich hatte Riesenarbeit 
und Riesenkraft. Viermal, fünfmal überschlug mich eine Welle. Ich bekümmerte 
mich nicht um alles, was vorging; mein Auge hing an der Küste und am 
Wogen des Meeres. 
Als wir nicht mehr weit vom Gestade waren, sprangen einige Matrosen, 
die mich nun erst am Ruder sahen, herauf und befahlen mir abzulenken, daß 
das Fahrzeug nicht an den Felsen zerschelle. Die Kerle glichen Rasenden. Ich 
wies sie gebieterisch zurück und befahl ihnen, alles bereit zu halten, sich und 
was Lebendiges auf dem Paketboot war, zu retten, wenn das Boot in Stücken 
gehe. Sie wollten sich meiner bemächtigen. Ich ergriff einen neben mir lie¬ 
genden Holzpflock, hielt ihn wie eine Pistole gegen sie und schrie: „Fliehet, oder 
ich drücke ab und schieße den ersten von euch Rebellen nieder!" — Die Kerle 
erschraken, sie zogen sich fluchend und eilfertig zurück. War mein toller Einfall 
oder die blinde Furcht der armen Teufel lächerlicher?
	        
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