Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

270 
147. Die Pflanzen. 
sprecht ihr laut meine Seele an und offenbart mir klar des Vaters Liebe, des 
Vaters Größe! — Nimm, o Buche, mich in deine Schatten auf! Flöße auch in 
meine Brust deinen Frieden, wenn ich, mein Dasein vergessend, nach fremden 
Leben forsche! — Was wohnt in dir? Was regiert dich? Was rief dich st 
schön, so herrlich hervor aus unscheinbarem, einfach gebildetem Samenkorn, rief 
dich hervor zum grünenden Baume, diesen Weißdorn aber zum Strauche, zur 
bescheidenen Blume das Singrün? 
Alle diese herrlichen Gewächse gingen aus Unsichtbarem hervor, alle lagen 
einst im Samenkorn versteckt; aber kaum wird dieses erweicht vom Wassertropfen, 
da regt und rüstet es sich im Verborgenen zum Eintritt in die Welt. Erstarkt, 
sprengt es mit Gewalt seinen engen Kerker; eifrig streckt es das Würzelchen 
hervor, das den Weg in die Erde suchet und aus ihr seinen Nektar sauget. 
In steter Verwandlung trägt es ihn durch verworrene Wege nie verirrend hin¬ 
durch und reiht ihn künstlich an den zarten Keim; dieser hebt das Haupt empor 
und drängt ergrünend sich ans Licht, streckt den Halm, entwickelt mehr und mehr 
die verhüllten Knospen und lenkt rings die flatternden Blätter. Jetzt atmet 
das junge Pflänzchen freier, freier mit jedem Blättchen, das sich entfaltet. Aus 
grüner Hülle der Blätter schälen sich zartere los; es entkleidet die Blume sich 
des schützenden Kelches und breitet ihre bunten Teppiche aus für die erwachten 
Lieben, welche Honig bieten, von lockenden Düften umspielt. Ein neues Wesen 
entsteht, mehr und mehr reift aus leichter Milch zum festen Kern die Frucht. 
' Verfolge aber immerhin noch so eifrig die Spuren des Wachstums; was 
hast du gefunden? Die einst so überschwenglich groß und schön hervorwachsende 
Pflanze liegt im Samenkorn in Knoten zusammengewickelt, die du nicht zu lösen 
vermagst. Kaum sichtbar entdeckst du ihren blassen Keim, eingepreßt zwischen 
seine künftige Nahrung, im Keime geschieden, was einst als Wurzel sich ins 
Finstere der Erde gräbt, und was schön und glorreich zum höheren Leben dem 
Tage sich zuwendet. Vorsichtig umwickelt liegt das Korn von zarten und immer 
zarteren Hüllen, und diese bald in trockene, bald in saftige Früchte verschlossen. 
Nur die im ewigen Dunkel schleichende Wärme, nur das belebende Licht und 
das immer rege Wasser vermögen die Zauberbande zu lösen und dem ver¬ 
borgenen Lebensfunken die Hülle zu brechen. Staune über die Wunder, sie 
bleiben dir ewig Wunder! 
Trenne jede Faser der Pflanze, durchsuche alle ihre Gänge und Kammern, 
du erblickst nie die Quelle des Lebens! Mit welcher Kunst, mit welcher un¬ 
denkbaren Kunst und Sorge ist das Gebäude aufgeführt! Siehe, hier steigen 
Luftgefäße empor, umschlungen von andern, in geringelten Windungen; Röhrchen 
schmiegen an Röhrchen sich, die bald in verworrene Knäuel verflochten, bald als 
zartes Adergewebe die Fläche der Blätter überspinnen, jetzt in Drüsen sich öffnen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.