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149. Die Reise durchs Leben.
weiter zu reisen/' — Sie kamen unter angenehmen Gesprächen und süßen
Hoffnungen ins Thal hinab, setzten sich unter einen Baum und labten sich an
der kühlen Quelle und an den schönen, reisen Früchten, die sie mit leichter Mühe
srisch vom Baume abpflücken konnten. ,,So angenehm ist der Genuß nach der
Arbeit," sagte der Greis; „aber die Arbeit nach dem Genusse ist nicht weniger
angenehm; darum laß uns aufstehen und unsere Reise fortsetzen; denn wir haben
noch viele Berge zu übersteigen, ehe wir unser erwünschtes Ziel erreichen!"
Nun ging ihre Reise gut von statten. Auf jeden steilen Berg, den sie
mühsam erstiegen hatten, folgte immer ein kleines, anmutiges Thal, wo sie sich
wieder erquicken konnten; am Abend kehrten sie in die Herberge ein, und am
Morgen, sobald die Sonne aufging, waren sie schon wieder reisefertig und
machten sich auf den Weg. So legten sie in einigen Tagen eine weite Strecke
zurück und trösteten sich mit dem Gedanken, daß sie der Stadt, wohin ihre
Wünsche gingen, immer näher kamen. Oft schien sich ihr Weg in unabsehlichen
Krümmungen zu verlieren; aber ehe man es sich versah, lief er wieder schön
und grün vor ihnen über die Ebene hin. Zuweilen schien es ganz unmöglich,
auf einen steilen Berg zu kommen, den sie vor sich sahen; aber ihr Pfad lief
unvermerkt an der Seite des Berges durch tausend Krümmungen im Gebüsch
hinauf, so daß sie ihn wider alles Vermuten ganz bequem ersteigen konnten.
Einmal gingen sie in einem tiefen Grunde, und an beiden Seiten über ihnen
hingen große Felsenstücke, die jeden Augenblick herabzustürzen drohten. Der
Wanderer fing an zu zagen, aber sein Führer sprach ihm Mut ein und sie
kamen glücklich durch; die Felsen stürzten nicht über ihnen zusammen, und die
drohende Gefahr verschwand. Nun setzte der Wanderer ein recht volles Zu¬
trauen auf seinen Führer und hätt' ihn nicht verlassen, wenn er auch mit ihn:
hätte durchs Feuer gehen sollen.
Eines Tages war so heiteres Wetter und alles so still um sie her; sie
hatten einen rauhen Weg zurückgelegt und gingen nun auf einer grünen Ebene,
wo sie von einer sanften Luft umweht wurden, die nach und nach den Schweiß
von ihrer Stirn abtrocknete. Da blickte der Greis den Wanderer freundlich an
und sagte: „Sei getrost, unsere Reise geht nun bald zu Ende, und ehe du es
dich versiehst, sind wir in unserer geliebten Stadt, wo deine Freunde, die du
dort antreffen wirst, sich schon auf deine Ankunft freuen und bereit sind, dich
mit offenen Armen zu empfangen. Aber zittere nicht, wir müssen erst noch durch
ein dunkles Thal, wo die Sonne und der Tag vor unseren Blicken verschwinden
und der Boden unter unseren Füßen weichen wird; dann halte dich nur fest an
mich und fürchte nichts, denn ich werde dich glücklich hindurchführen und an den
Ort deiner Bestimmung bringen!" —