nicht wenig bekümmerte. Ich benutzte die Gelegenheit, ihre Gedanken
und Hoffnungen auf den zu lenken, der vor fast 1900 Jahren einer
andern Witwe zu Nain so freundlich von ihrem Kummer geholfen und
ihr den Sohn zurückgegeben hatte. Sie ging gerne darauf ein, kannte
auch die Geschichte von dem „Herrn Jesus" wohl, der ihr Dorf so
berühmt gemacht habe. Aus meine Frage, ob sie wohl daran glaube,
daß Jesus einst den Jüngling erweckt und daß er heute noch helfen
könnte, gab sie, die Muhammedanerin, die überraschende Antwort: „Wie
sollte er denn nicht, ist er doch der Sohn des Allerhöchsten und vom
Allmächtigen selbst hervorgegangen!" Ich begleitete sie hinüber zu dem
Kranken, der allerdings sehr schwach war. Wir gaben ihm einige Arznei
und ermahnten die Familie, sich an den großen Arzt zu wenden, der einst
hier so Großes getan.
Nach unserem bescheidenen Abendessen zog es uns hinaus, um dem
heutigen Nain einen nächtlichen Besuch abzustatten. War es nur die
natürliche Schönheit oder waren es die großen Erinnerungen, die uns
das Herz so bewegten? Es war, als ob jeder Berg, jedes Tal uns
eine Botschaft und geheime Kunde aus längst entschwundenen Tagen mit
dem leisen Nachtwind zuzurauschen hätte. Auf diesen Fluren ist ja Jesu
Fuß so oft gewandelt, auch auf ihrer Pracht, ihren Blumen, hat sein
sinnendes Auge so oft geruht, wenn er für seine ihm nachfolgenden
Jünger die tiefsten Geheimnisse des ewigen Gottesreiches in irdische
Bildnisse kleidete. Hoch über Nain ragte der dunkle Berg, der Sunem
vor unseren Augen verbarg, wo Elisa sein Prophetenstübchen hatte und
den Sohn der Sunamitin auferweckte. Dort zur Rechten sind die Lichter
von Endor — ein Ort voll trauriger Erinnerungen aus den letzten
Stunden eines unglücklichen Königs. Hinter unserem Berge liegen im
Schatten der Nacht die Berge Gilboa, über die Davids Harfe in
dem Trauergesang über die gefallenen Helden in unnachahmlich rühren¬
den, wehklagenden Lauten weinte. Dort im Tal, wenn auch unserem
forschenden Auge nicht sichtbar, liegt der See Genezareth, an dessen
Ufern Jesus seine meisten Taten getan hat. Vor uns dehnt sich die
weite schweigende Ebene Iesreel aus, in der nur da und dort ein
einsames Beduinenfeuer flackert, während dahinter so ernst der hohe,
nachtumfangene Tabor steht und halblinks auf den Bergen die Lichter
der höchsten Häuser von Nazareth schimmern. In weiter Ferne schließt
der dunkle Streif des Karmel das Nachtgemälde am westlichen Horizonte
ab. Das war eine Umgebung, die zumal in stiller Nacht wohl geeignet