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29. Gottfried August Bürger.
1747—1794.
A. Biographie.
Vom Harze her ertönte der erste helle Klang der deutschen Ballade,
jener von Schiller und Goethe zu klassischer Würde erhobenen, von
Uh land zu deutscher Innigkeit gewöhnten Dichtungsform: am Fuße
des Harzes ward geboren, lebte und starb Gottfried August Bürger,
eines Pfarrers Sohn aus Molmerswende, unweit Harzgerode. Die
Summe seiner Gedichte ist nur gering, wenig größer die seiner mehr ge¬
lehrten Arbeiten, unter denen der Versuch einer Übersetzung der Ilias
hervorragt; ein verfehltes Leben voll Mißgeschick ließ den mit ächten
Gaben ausgerüsteten Dichter, der bereits sechsundvierzigjährig starb, nicht
zur vollen Entfaltung gelangen. Wandelte auch treue Freundschaft alle¬
zeit zu seiner Rechten, das Unglück schritt ebenso beharrlich zur Linken mit.
Zuerst auf dem Lande durch häuslichen Unterricht, besonders unter
Mithilfe seiner hochbegabten, aber selbst unzulänglich unterrichteten Mutter
gebildet, besuchte er seit seinem zwölften Lebensjahre die Stadtschule zu
Aschersleben unter der Aufsicht seines dort wohnenden Großvaters, des
Hofesherrn Jakob Philipp Bauer, an dessen Grabe der Dichter in schönen
Versen einen Zoll kindlichster Dankbarkeit entrichtet hat. Nach zwei Jahren
wurde er auf das Pädagogium nach Halle geschickt, wo er mit Göckingk
das Freundschaftsband knüpfte, welches trotz der Entfernung sowie der
Verschiedenheit ihres Schicksals sie immer inniger verband. Als sechzehn¬
jähriger Jüngling vertauschte er (1764) die Schule mit der Universität
derselben Stadt, um nach des Großvaters Wunsche Theologie zu studieren.
Frühzeitig offenbarte sich des Knaben eigentümliche Begabung, ob¬
zwar zunächst in wenig vorteilhafter Weise. Bei einem außerordentlich
leichten Gedächtnis vermochte er anfänglich das Latein durchaus nicht zu
fassen; dagegen eignete er sich aus Bibel, Gesangbuch und woher auch
immer vielerlei an und lebte in einem innigen Verkehr mit Baum und
Strauch, mit Bach und Hügel in der Umgebung seines Heimatdörfchens.
Ein Spottvers auf eines Primaners Haarbeutel trug ihm sogar von dem
Rektor zu Aschersleben eine so harte Züchtigung ein, daß er diese Schule
verließ. So führte seine Neigung ihn auch nicht zur Theologie, vielmehr
ließ er sich gern durch den nur um zehn Jahre älteren Professor Klotz
in die klassische Litteratur der Griechen und Römer einführen.
Das Beispiel dieses Mannes aber ward für den jungen Dichter von
großem und vielleicht dauerndem Nachteil. Zwar berief sein Großvater,
der seit dem Tode des Vaters für seinen Enkel allein zu sorgen über¬
nommen, ihn von Halle zurück, gestattete ihm aber bald (1768), in Göt¬
tingen die Rechtswissenschaft zu studieren, und hier geriet Bürger durch