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Vorwort.
für das ganze Leben, zu einem idealen Schatze in materieller Zeit.
Diesen Grundsätzen.getreu, habe ich überall nur solche Stoffe ge¬
wählt, welche dem ethischen und intellektuellen Bildungsgrade der
Schülerin durchaus angemessen sind, die nach Form und Inhalt
mustergiltig und, ihrem religiös-sittlichen und nationalen Charakter
entsprechend, auf Geist- und Gemütsleben der weiblichen Zugend ein¬
zuwirken im stände sind.
Fertige, die Schülerin zu einem oberflächlichen Absprechen ver¬
leitende Urteile habe ich sorgfältig vermieden, und so hoffe ich, man
wird finden, daß ein Geist innerer, tüchtiger Gesundheit mein Buch
durchweht, daß ich mein Ziel unverrückt im Auge behalten habe und
bestrebt gewesen bin, überall aus die Anschauung der Schülerin
zu wirken, damit sie von unsern Dichtern und ihren Werken in der
That ein durchaus klares, nicht verschwommenes Bild gewinne. Um
dieses Ziel aber zu erreichen, war bei quantitativer Beschränkung
möglichste qualitative Vertiefung geboten. Darum habe ich mich,
ganz wie in meinen fremdsprachlichen Lesebüchern, an nur zwanzig
Dichtergestalten gehalten; darum wird der oberflächliche Spste-
matiker deren fünfzig oder mehr vermissen, von denen auch neue
Lesebücher noch immer nicht sich zu trennen vermögen, obwohl sie
für die Geistes- und Gemütsbildung unserer Mädchen so durchaus
wertlos sind. Was ich gebe, ist überall ein Ganzes, denn ein Kunst¬
werk kann als solches nur durch seine Totalität wirken. Dem
Nibelungenliede, der Gudrun, dem Parzival, dem Reineke Fuchs,
dem Messias, dem Cid re. habe ich daher ausführliche Inhalts¬
angaben unserer besten Litterarhistoriker vorangehen lassen, da
ich den sogenannten verbindenden Text aus didaktischen und me¬
thodischen Gründen durchaus verwerfe. Auch einzelne Scenen aus
den Dramen Lessings, Goethes und Schillers oder einzelne Ge¬
sänge aus Hermann und Dorothea wird man daher in meinem
Buche nicht finden, weil Werke, welche in der Schule ganz ge¬
lesen werden, nicht bruchstückweise ins Lesebuch gehören. Dagegen
habe ich Inhaltsangaben und Charakteristiken dieser Werke aus
der Feder hervorragender Zeitgenossen und Schriftsteller unserer Tage
meiner Litteraturkunde einverleibt. — Eine meinem Buche eigenartige