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ohne freilich sehr viel Neues in Bezug auf Inhalt wie Erfindung zu
bieten. Neben diesen aus der Fremde entlehnten oder auf ihr beruhenden
Romanen entstanden auch die eigentlichen Bolksromane, die sogenannten
Volksbücher, wie Eulenfpiegel, Faust, Schildbürger u. a., indem eine
Reihe gleichartiger Schwänke und Erzählungen auf eine Persönlichkeit
oder eine Stadt gehäuft wurde.
Die am meisten gepflegte Gattung des sechzehnten Jahrhunderts aber
war das Drama, und hier können wir auch am deutlichsten eine Stei¬
gerung der dichterischen Leistungsfähigkeit bis zum Ende des Jahrhunderts
hin wahrnehmen. Hier zeigt sich auch am klarsten die Einwirkung des Hu¬
manismus auf die Litteratur. Denn nicht nur wurden die alten Gattun¬
gen des Volksdramas, wie Fastnachtspiele und Moralitäten, weiter ge¬
pflegt, sondern auch durch den Einfluß des Studiums der Alten die
antike Tragödie und Komödie eingeführt. Zunächst-freilich wurden diese
Arten des Dramas nur in lateinischer Sprache bearbeitet, sie gewannen
aber auch in dem fremden Gewand Einfluß aus die nationale Litteratur,
indem sie teils zahlreiche Übersetzer fanden, teils unmittelbar auf die
in deutscher Sprache dichtenden Dramatiker einwirkten und viel nachgeahmte
Vorbilder wurden. Dazu kam nun noch das neue Stoffgebiet, das sich durch
das Studium der Alten eröffnete, wie antike Mythen und griechische und
römische Geschichte. Auch die durch die Reformation entstandene Verbrei¬
tung der Bibel half mit, indem diese den Dramatiken: gleichfalls zahl¬
reiche Stoffe zuführte. Endlich wirkte auch die in der Blüte begriffene
englische dramatische Litteratur (Shakespeare) und Schauspielkunst herüber,
indem englische Schauspieler gegen Ende des Jahrhunderts nach Deutschland
kamen und teils ihre heimatlichen Werke aufführten, teils auch deutsche
Stücke zur Darstellung brachten. All' das wirkte befruchtend auf unsere
Litteratur und zeitigte eine Entfaltung der dramatischen Kunst, die zu
den schönsten Hoffnungen berechtigte.
Da kam im Anfang des nächsten Jahrhunderts der dreißigjährige
Krieg, und mit ihm brach ein Verhängnis auch über unsere Litteratur
herein. Wie ein plötzlicher Nachtfrost die Knospen und Blüten knickt,
die ein milder Tag hervorgelockt hat, so zerstörte er die Keime, die eine
junge, im Entfalten begriffene Kunst schon getrieben hatte.
17. Martin Luther.
1483-1546.
A. Biographie.
Martin Luther, der größte Schriftsteller des sechzehnten Jahrhunderts,
wurde am 10. November 1483 zu Eisleben als Sohn eines Bergmannes
geboren; er rang sich, nachdem ihn sein Vater auf die lateinischen Schulen
Dr. Saure, Deutsches Lesebuch. Ausgabe A. Teil V. 11