Full text: Litteraturkunde (Fünfter Teil = 9. bezw. 9. und 10. Schuljahr, [Schülerband])

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2. Gleichheit. 
Es ist kein Blümlein nicht so klein, 
Die Sonne wird's erwärmen, 
Scheint in das Fenster mild herein 
Dem König wie dem Armen, 
Hüllt alles ein in Sonnenschein 
Mit göttlichem Erbarmen. 
3. Spruch. 
Die Lerche grüßt den ersten Strahl, 
Daß er die Brust ihr zünde. 
Wenn träge Nacht noch überall 
Durchschleicht die tiefen Gründe. 
Und du willst,Menschenkind,der Zeit 
Verzagend unterliegen? 
Was ist dein kleines Erdenleid! 
Du mußt es überfliegen! 
4. Sonntag. 
Die Nacht war kaum verblühet, 
Nur eine Lerche sang 
Die stille Luft entlang. 
Wen grüßt sie schon so frühe? 
In festlichen Gewänden 
Wie eine Kinderschar, 
Tauperlen in dem Haar, 
Die Blumen alle standen. 
Und draußen in dem Garten 
Die Bäume übers Haus 
Sah'n weit ins Land hinaus. 
Als ob sie wen erwarten. 
Ich dacht': Ihr kleinen Bräute, 
Was schmückt ihr euch so sehr? 
Da blickt' die eine her: 
„Still, still! 's ist Sonntag heute. 
Schon klingen Morgenglocken: 
Der liebe Gott nun bald 
Geht durch den stillen Wald." 
Da kniet' ich froh erschrocken. 
5. Erinnerung. 
Lindes Rauschen in den Wipfeln, 
Vöglein, die ihr fernab fliegt, 
Bronnen von den stillen Gipfeln, 
Sagt, wo meine Heimat liegt? 
Heut' im Traum sah ich sie wieder. 
Und von allen Bergen ging 
Solches Grüßen zu mir nieder, 
Daß ich an zu weinen fing. 
Ach, hier auf den fremden Gipfeln: 
Menschen, Quellen, Fels und Baum, 
Wirres Rauschen in den Wipfeln — 
Alles ist mir wie ein Traum.
	        
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