Full text: [Teil 4 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 4 = Quarta, [Schülerband])

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VI. Sagen. 
Freiheit; wo sie unter einem Dache sich anlehnt, beschränktere. Wie 
dies aber von Roland zu verstehen sei, können wir mit Bestimmtheit 
nicht ermitteln. 
3?. Heinrich der Löwe. 
Brüder Grimm. Deutsche Sagen. 2. Band. Berlin. 
Zu Braunschweig steht, aus Erz gegossen, das Denkmal eines 
Helden, zu dessen Füßen ein Löwe liegt; auch hängt im Dom daselbst 
eines Greifen Klaue. Davon lautet folgende Sage: Vorzeiten zog 
Herzog Heinrich, der edle Welf, nach Abenteuern aus. Als er in 
einem Schiff das wilde Meer befuhr, erhub sich ein heftiger Sturnl 
und verschlug den Herzog; lange Tage und Nächte irrte er, ohne Land 
zu finden. Bald fing den Reisenden die Speise an auszugehen, und 
der Hunger quälte sie schrecklich. In dieser Not wurde beschlossen, 
Lose in einen Hllt §u werfen, und wessen Los gezogen ward, der 
verlor das Leben und mußte der andern Mannschaft mit seinem Fleische 
zur Nahrung dienen; willig unterwarfen sich diese Unglücklichen und 
ließen sich für ben geliebten Herrn und ihre Gefährten schlachten. 
So wurden die übrigen eine Zeitlang gefristet, doch schickte es die 
Vorsehung, daß niemals des Herzogs Los herauskam. Aber das Elend 
wollte kein Ende nehmen; zuletzt war bloß der Herzog mit einenl 
einzigen Knecht noch auf dem ganzen Schiffe lebendig, und der schreck¬ 
liche Hunger hielt nicht stille. Da sprach der Fürst: „Laß uns beide 
losen, und auf wen es fällt, von dem speise sich der andere." Über 
diese Zumutung erschrak der treue Knecht, doch dachte er, es würde 
ihn selbst betreffen, und ließ es zu; siehe, da fiel das Los auf seinen 
edlen, liebwerten Herrn, den jetzt der Diener töten sollte. Da sprach 
der Knecht: „Das tu' ich nimmermehr, und wenn alles verloren ist, 
so hab' ich noch ein andres ausgesonnen; ich will Euch in einen 
ledernen Sack einnähen, wartet dann, was geschehen wird." Der 
Herzog gab seinen Willen dazu; der Knecht nahn: die Haut eines 
Ochsen, den sie vordem auf dem Schiffe gespeist hgtten, wickelte den 
Herzog darein und nähte sie zusammen; doch hatte er sein Schwert 
neben ihn mit hineingesteckt. Richt lange, so kam der Vogel Greif 
geflogen, faßte den ledernen Sack in die Klauen und trug ihn durch 
die Lüfte über das weite Meer bis in sein Rest. Als der Vogel 
dies bewerkstelligt hatte, sann er auf einen neuen Fang, ließ die 
Haut liegen und flog wieder aus. Mittlerweile faßte Herzog Heinrich 
das Schwert und zerschnitt die Nähte des Sackes; als die jungen 
Greise den lebendigen Menschen erblickten, sielen sie gierig und mit 
Geschrei über ihn her. Der teure Held wehrte sich tapfer und schlug
	        
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