Full text: Für Klasse IV (7. Schuljahr) (Teil 6, [Schülerband])

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einen Marsch von 18 Stunden zurückzulegen. — (Ermuntert schaute alles 
nach dem Riesenberge aus, aber vergebens, Ruch ich musterte den Hori¬ 
zont vor mir, konnte aber beim besten willen nichts entdecken. „Un¬ 
sinn !" erwiderte ich daher ungnädig und zog verdrossen weiter. Bald 
5 darauf ertönte indes dieselbe Stimme: „Li, so seht doch den Kibo, wie er 
aus den Wolken bricht!" Jetzt sagte auch ein Dschaggabursche, den ich 
unterwegs angetroffen und auf seine Bitten hin als Zeltjungen angestellt 
hatte, zu mir: „wirklich, Herr, dort ist der Kibo." Unwillkürlich schaute 
ich auf, konnte aber vom Kibo, dem schneebedeckten hauptgipfel des 
io Kilimandscharos, noch immer nichts wahrnehmen. Gewöhnt, die Konturen 
eines so weit entfernten Gebirges am Horizonte zu suchen, kam ich gar 
nicht darauf, den Blick zu dem stark bewölkten nördlichen Himmel zu 
erheben. „Uber so sieh doch, Herr, dort oben über den Wolken!" rief der 
Junge ganz aufgeregt, die Hand erhebend. — Nochmals folgte ich, wenn 
i5 auch ungläubig, mit den Uugen dem Fingerzeige. — wahrhaftig, ganz 
oben am Himmel tauchte wie ein fremdes Gebild aus dem Weltenraum 
ein blitzendes Scheibensegment aus dem weißen Gewölk hervor. — Fast 
erschrocken und sprachlos blieb ich stehen und starrte die seltsame Er¬ 
scheinung an, die um so merkwürdiger anmutete, als von dem ganzen 
-0 übrigen Gebirgsstock ganz und gar nichts zu sehen war. Ulles war ver¬ 
hüllt bis auf den oberen Teil der schnee- und eisbedeckten Kibokuppe, und 
auch diese war bald wieder hinter dem Dunstschleier verschwunden. So 
hoch hatte ich mir den Berg wahrlich nicht vorgestellt. „Kilimandscharo! 
Kilimandscharo!" jubelten die Träger überlaut und machten dabei solch 
25 ein Getöse, daß sich die Nachzügler einer vor uns marschierenden Militär¬ 
karawane ganz erstaunt umsahen, um zu erfahren, was bei uns eigentlich 
los sei. Sie selbst hatten keine Rhnung von dem wunderbaren Schauspiel, 
das uns zuteil geworden war. 
Rm selben Tage kam uns der Berg nicht mehr zu Gesicht. Früh 
3o am folgenden Morgen jedoch, als wir von Nimbeni in der Richtung auf 
Kahe marschierten und bei Sagalla auf einer Rnhöhe anlangten, sahen 
wir den Kilimandscharo in seiner ganzen Mächtigkeit vor uns liegen. 
Jetzt konnten wir nicht allein den Kibodom, sondern auch den zweiten 
Gipfel, den Mawensi, sowie die übrige Bergmasse erschauen. Ls war ein 
35 großartiger Rnblick, den wir von dieser Zeit an stets morgens und abends 
genossen. Besonders herrlich nahm sich das Hochgebirge im Glanze des 
vollmondlichtes aus, wie ich im Lager von Kahe zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatte. 
Ruf meine Frage nach dem Kilimandscharo und seinen Bewohnern, 
40 den wadschagga, sagte mir der vorhin erwähnte Dschaggabursche, daß 
seine Landsleute den Kibo den Mann, und die andere Bergspitze, Ma-
	        
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