Full text: [Teil 4 = Tertia, [Schülerband]] (Teil 4 = Tertia, [Schülerband])

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dieselben gebracht, an die Gefahren und Mühen, die er mit den Geringsten 
geteilt, an die Wunden, deren Spuren alle Teile seines Körpers an sich 
trügen, an die Nächte, die er um ihretwillen durchwacht, damit sie 
ruhig schlafen könnten, an die Geschenke und Ehrenzeichen, womit er 
die Tapferkeit der Lebenden belohnt, und an die Standbilder, Ruhmes¬ 
male und Grabstätten, womit er das Gedächtnis der Gefallenen geehrt. 
„So ziehet denn hin, schloß er, und meldet, wenn ihr heimkommt, 
daß ihr euern König Alexander, den Bezwinger der Perser und Inder, 
der mit euch die Kämpfe am Hydaspes bestanden und die Leiden des 
Wüstenzuges getragen, am Tigris verlassen und dem Schutze der be¬ 
siegten Asiaten übergeben habt. Solche Botschaft, denk' ich, wird euch 
bei Göttern und Menschen berühmt und angenehm machen. Gehtl" 
Nach diesen Worten stieg er raschen Schrittes von der Bühne und 
eilte in die Stadt; nur seine Leibwächter und Getreuen folgten ihm. Hier 
verbrachte er zwei Tage in völliger Abgeschlossenheit, während das Heer 
ohne Führer, ohne Kraft und Fähigkeit zu handeln, in dumpfer Be¬ 
täubung und Unschlüssigkeit im Lager verharrte. Erst als demselben 
gemeldet wurde, daß der König sich ganz den asiatischen Soldaten an¬ 
vertrauen und ihnen die macedonische Heeroerfassung, Benennung und 
Waffenordnung verleihen wolle, daß er denselben bereits den Dienst um 
seine Person übertragen, eine Anzahl vornehmer Perser für seine Ver¬ 
wandten erklärt und ihnen freien Zutritt und den macedonischen Gruß 
gestattet, daß er keine Macedonier vor sich lasse, da wurde ihr Trotz 
gebrochen. Sie überließen sich der bittersten Reue und dem wildesten 
Schmerze; sie zogen in Haufen vor des Königs Schloß, warfen ihre 
Waffen nieder zum Zeichen der Demütigung und flehten laut um Gnade 
und Zutritt; sie wollten sich jeder Strafe unterwerfen, wollten die Ur¬ 
heber des Aufruhrs ausliefern, sie würden Tag und Nacht nicht von 
hinnen weichen, bis er Erbarmen mit ihnen hätte. Und wirklich blieben 
sie zwei Tage und zwei Nächte vor dem Schlosse gelagert und hörten 
nicht auf zu bitten und zu rufen. Da trat Alexander endlich heraus, 
und als er seine Veteranen in flehender Stellung auf der Erde liegen 
sah, gingen ihm die Augen über, und er versöhnte sich wieder mit 
ihnen. Als er den Führer der Edelschar, einen tapferen Kriegsmann, 
küßte und verkündete, daß er alle Macedonier für seine „Verwandten" 
erkläre, jubelten die Soldaten, rafften ihre Waffen wieder auf und kehrten 
singend und frohlockend in das Lager. Ein großartiges Versöhnungs¬ 
mahl, wobei Alexander inmitten von 9000 Gästen das Trankopfer aus- 
gießend zu den Göttern flehte, daß sie ihm und dem Heere gnädig sein 
und vor allem Einigkeit des Reiches und Gemeinschaft der Macedonier 
und Perser verleihen möchten, sollte über die verhängnisvollen Vor¬ 
gänge zu Opis den Schleier der Vergessenheit ziehen. Damit war auch 
der Widerstand der Macedonier gegen das Vereinigungswerk ihres Königs
	        
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