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Linde ist Wohl die zu Neustadt an dem Kocher, die, schon 1229 ein statt¬
licher Baum, jetzt mit einem Stammumfang von mehr als 7 m ihre
Krone über einen Raum von 115 m im Umkreis ausbreitet.
Das Christentum schloß sich der überlieferten heidnischen Vorliebe
an, und in die den alten Göttern geweihten Linden setzte man beson¬
ders gern auch Heiligen- und Christusbilder. Manche sinnige Legende
knüpft sich an solche Linden, und wie man von altersher bei den heili¬
gen Bäumen Kapellen baute und Wallfahrtsorte dort entstanden, so
hat man späterhin den somit auch christlich geehrten Baum wieder in
besonderer Weise an heiligen Plätzen vor Kirchen und Kapellen ange¬
pflanzt und die Verehrung der Linde als ein Vermächtnis der heid¬
nischen Zeit in das Christentum herübergenommen. Jetzt noch steht
sie ausschließlich in uralter Herrlichkeit um die Kirchen her, wie auf
offenen Dorsplätzen, wo unter ihrem Schatten alle wichtigen Angelegen¬
heiten verhandelt, die Gerichte abgehalten und die ländlichen Freuden¬
feste begangen wurden.
Die Linde war der Dingbaum, unter dessen weitem Gezweige
besonders in den sächsischen Landen die wichtigsten Begebenheiten, Be¬
ratungen und Beschlüsse der Gemeinde besorgt und auch die Rechts-
ui'teiie über Leben und Tod in einigen Gegenden Deutschlands, wie in
der Mitte Holsteins, noch bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts
gesprochen wurden. Solche alte Linden stehen noch heute an vielen
Orten. Die Unterschrift: „gegeben unter der Linde" wiederholt sich
überall in den fürstlichen Verordnungen der früheren Jahrhunderte,
wie im Mittelalter die Ausdrücke: „unter den Linden vor der Kirch"
oder „bei der Kirchen unter den Linden" bei Beschlüssen der Volks¬
gemeinde. Auch die Femgerichte aus roter Erde wurden unter einer
Linde abgehalten, wovon die beiden berühmten Linden zu Dortmund
noch Zeugnis geben. Die eine Linde hat der Blitz zweimal getroffen,
ihre Krone gebrochen, ihren Stamm bis zur Wurzel gespalten. Aus
den zersplitterten Überresten sind aber wieder junge Zweige ansgesproßt
lind haben sich zu einer neuen Krone gestaltet. Das breite Laubdach
beider beschattet einen verwitterten bemoosten Tisch von Stein, dessen
Platte noch den Reichsadler trägt. Neben diesem Adler lagen an
Gerichtstagen die Insignien der heiligen Feme, das blanke Schwert,
die graue Weidenschlinge; um diesen Tisch reihte sich einst der Kreis
der Fronen und Schöffen, um über Leben und Tod desjenigen zu ent¬
scheiden, der vor diesen Königsstuhl vorgesordert war. Dieses letzte
Denkmal der Femgerichte sollte verschwinden, als der Plan zum Bahn¬
hof entworfen ward. Über das uralte Liudenpaar war bereits das
Todesurteil gefällt, doch rettete es König Friedrich Wilhelm IV. Er