Full text: Für mittlere Klassen (Theil 2)

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n. 
Der Kreuzgang des Klosters Maulbronn umschloß, wie gewöhnlich 
die Kreuzgänge, einen kleinen Garten, der durch die hohen gothischen 
Fenster desselben sichtbar war. Man beklagte noch die prachtvollen 
Glasgemälde, die einst die Fenster dieses Kreuzhanges schmückten, die 
aber Herzog Karl herausnehmen ließ und bedauerlicher Weise zu 
neuen Bauten in Hohenheim verwendete. Fußböden und Wände des 
Kreuzganges waren mit steinernen Grabmonumenten längst verstorbener 
Aebte und Mönche ausgelegt, und an nianchen Stellen der Fußboden 
selbst eingesunken. 
Durch diese Gänge schritt ich selbst oft in Nächten allein mit einem 
Laternchen; es führte der nächste Weg durch sie von meinem Freunde 
Gottfried in meines Vaters Wohnung. Auch im Mondschein ohne Laterne 
ging ich oft hindurch, und wünschte mir sehnlich die Begegnung eines 
Mönchsgeistes in schwarz und weißer Kutte mit langem Barte. 
Da entstanden einige meiner ersten Verse, von denen ich nur noch 
diese Strophen weiß: 
„Würde wahrlich nicht erschauern, 
Schwebtet ihr aus Grabesmauern 
In den Kutten, schwarzen, weißen, 
In den Bärten, langen, greisen, 
Im Gesichte Geistertrauern. 
Schläfer! auf zum Rebenthale! 
Dort im bunt bemalten Saale 
Warten euer die Pokale, 
Warten auf dem Eichentische 
Wildbret und gebackne Fische. 
Jetzt in Hellem Mondenscheine 
Glänzen licht die bunten Fenster, 
Und es heben die Gespenster 
Ihrer Gräber morsche Steine rc." 
Oft aber stellten wir uns auf die Probe, versteckten und neckten 
uns in diesen doch immer etwas unheimlichen Gängen, und da kam es 
manchmal, daß ich trotz meiner kühnen Herausforderungen in Prosa und 
Versen, von Angst ergriffen und in meiner Phantasie von einem fliegen¬ 
den Mönche verfolgt, durch diese Gänge stürzte und athemlos und geister¬ 
bleich in der Oberamtei ankam. 
Mein Schauder dauerte aber immer nur hm, ich kehrte bald wie¬ 
der in die Gänge zurück und wünschte mir eine Erscheinung; denn ich 
glaubte schon damals an die Existenz von Geistern, und em natursin¬ 
niger Trieb, der früh in mir auftauchte, ließ mich schon du genauere 
Erforschung wünschen. 
Wie den Ameisenlöwen in ihren Sandgruben, den dicken, unbe- 
hülflichen, wanzenähnlichen Geschöpfen, die sich in leichte, schlanke Syl¬ 
phiden verwandeln, so wünschte ich auch der geistigen und leiblichen 
Verwandlung dieser Aebte und Mönche in ihren Gräbern nachforschen 
zu können. 
Bei allem vorherrschenden Gemüths - und Phantasieleben blieb doch 
m mir Besonnenheit und Verstand, ein Trieb zur klaren Forschung, die 
mich das Wahre vom Unwahren, sagte auch letzteres meiner Phantasie 
noch so sehr zu, unterscheiden ließen. Aber durch Behauptungen und 
Masius Lchb. II. 4. Ausl. 18
	        
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