A. Bürklin, Des armen Steffen Martes Schillerfeier.
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sie muß ein Tröpflein alten Weines trinken und Fleisch essen, sonst hört
sie im nächsten Frühjahre die Lerchen nicht mehr schlagen."
Des Arztes Worte waren dem armen Manne schwer aufs Herz
gefallen, denn er hatte seine Frau gar lieb, und so hatte er zu ihr ge¬
sagt: „Ich will's probieren in Gottes Namen," und war durch die stille
Mondnacht mit seinem Kienholz auf dem Rücken und ein paar kalten
Kartoffeln in der Tasche nach der Residenz gewandert. Als er durch das
Ettlinger Tor schritt, da schallte ihm feierliche Choralmusik vom Rat¬
hausturme herab durch die frische Morgenluft entgegen, und in sein Herz
zog freudige Hoffnung ein. „Ist denn ein Feiertag heute?" dachte er.
Dann bog er in die Erbprinzenstraße ein und rief frischen Mutes:
„Kafet Se a Kienholz!"
Das Glück war aber dem Bäuerlein nicht günstig; die Karlsruher
hatten heute andere Dinge zu tun als Kienholz zu kaufen und sich
um einen müden und hungrigen Menschen zu kümmern. So wanderte
unser armer Freund von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, mit
seiner schweren Bürde auf dem Rücken und seinem noch schwereren Herzen,
und überall hieß es: „Wir brauchen heute kein Kienholz, guter Mann;
kommt nächste Woche wieder oder in vierzehn Tagen." „In vierzehn
Tagen, daß Gott erbarm'," seufzte er und schlich weiter, „liegt meine Alte
unter der Erde und ich auch; denn ich überlebe das Elend nicht. Meine
armein Kinder!"
Es war Mittag geworden. Schüchtern schleppte sich der arme Bauer
durch die Menschenmenge, die auf dem Marktplatze wogte; noch einmal
rief er: „Kafet Se a Kienholz!" und dann konnte er nicht mehr weiter.
Der lange Weg, die schwere Last auf dem Rücken, der Kummer im
Herzen und ein Hunger, der stärker war als alles andere zusammen¬
genommen: es war zuviel; die Kniee brachen unter ihm, und so ließ er
sein Bündel auf das Pflaster fallen, setzte sich darauf, legte sein Gesicht
iu beide Hände, und durch seine rauhen Finger tropften heiße Tränen
auf die Pflastersteine.
Jetzt richtete er den Kopf wieder empor, und siehe, durch strömende
Tränen traf sein Auge die auf hoher, blumenbekränzter Säule thronende
Büste Schillers, und der Dichter da droben schien so mild und freundlich
und so mitleidsvoll auf den armen Bauer herabzuschauen, daß sein Herz
wie von Trost und Hoffnung bewegt wurde. Er dachte an den Choral
von heute morgen und daß heute ein Feiertag sein müsse, und unwill¬
kürlich falteten sich seine Hände; wie betend bewegten sich seine Lippen,
und andachtsvoll hingen seine Blicke an dem milden Antlitze des großen
Dichters.
Unser kummervolles Bäuerlein war der einzige Mensch auf dem
großen, weiten, mit Menschen gefüllten Platze, der nicht wußte, was die