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Unter sich das bezwungene Tier, dem Willen, ja dem Wunsche, dem
Ahnen des Reiters folgend, über sich den ewigen Himmel, an dem die
letzten Sterne erlöschen, wo der Mond noch müde steht als blasse Scheibe,
verblichen vor dem Frührot, den ersten Strahlen des Tagesgestirns. Und
rundum lautlose Einsamkeit, schlafende Dörfer und ruhende Erde. Nirgends
Menschengelärm, nirgends Menschentritt, Menschenhaß und Menschenliebe,
Mühsal und Freude! — Schweigen! Köstliches Schweigen! Nur das Knarren
des Riemenzeuges und der dumpfe Klang der Hufe unterbricht die Stille.
Da wird das Herz weit, die Seele groß und frei, tief der Atem. Da
ist es, als habe man alle Tageslast von sich geworfen, die einen bedrückt
und die Stirn in Sorgenfalten gezwängt. Da vergißt man sich selbst und
fühlt und denkt und ahnt und sieht allein die Natur. Man saugt die
Frische ein mit der Lunge, mit den Augen, dem Blick!
Der Boden scheint unter dem Pferde fortzuschießen, fortzugleiten,
wenn es langsamer wird, und dann wieder in rasendem Fluge zu fliehen,
wenn der Sprung sich weitet. Erlen und Heidegestrüpp huschen vorbei.
Dahin geht es am breiten Wasserarm des Flusses, der sich durch das
Heideland zieht. Den Hufschlag verschluckt der federnde Rasen. Breit
auseinander steht im Wasser das Schilf, das sich leise neigt, wenn der
Lufthauch die Fläche kräuselt, in der sich fahl und matt der Himmel
spiegelt. Alle Farben glänzen darin: hell die Mitte, violett um die Gräser
und roter Abglanz vom Horizont, dann blau und schwarz, tiefschwarz am
Ufer, im Schatten der Böschung. Ehe das Pferd naht, gluckt es im
Wasser, es spritzt umher, dann schweigt es rundum. Die Frösche flohen
in ihr Element. So geht es am Rande hin, immer dasselbe, minuten¬
lang, Stunden hindurch, meilenweit, solang' der Fluß sich dehnt. . .
Dann hinüber, vom Wasser fort in die Heidebüschel hinein, die
nicken im Rot der Dolden aus dem grünenden Meer. Hier und da
kommt eine Welle im Boden: wie ein Schiff geht es hinab und hinauf.
Ein einsamer Birkenbusch, eine verlorene Kiefer, klein, häßlich, ver¬
krüppelt; weiterhin: endlose Heide.
Links liegt das Dorf mit den strohgedeckten Hütten. Die Hunde schlagen
an: erst einer, klagend, langgedehnt, dann ein Kläffer, bellend, keifend, frech,
zahnlos, heiser; endlich der ganze Chor. Ein Hahnenschrei. Alles still.
Geradeaus steigt die Sonne empor. Der Himmel ist glühend,
brennendrot, braun fast über dem Boden. Aber die Farbe verblaßt. Die
Helle wächst. Einzelne Strahlen schießen hervor.
Rechts starrt der Hochwald. Dort geht es hinein in die Schneise.
Immer in langausgreifendem Galopp. Mächtig ragen die Stämme.
Dunkel, wie ein Riesenbuch, liegt der Wald da. Dämmerig ist es noch
darin. Frischer, köstlicher Harzduft strömt aus den Bestünden. Rötlich
schimmert die Rinde. Über raschelndes Laub huscht das Pferd wie ein
Schatten durch den Waldgang, der so wunderkühl und erfrischend.