Full text: [Erster Teil, Dritte Abteilung = (Für Quarta), [Schülerband]] (Erster Teil, Dritte Abteilung = (Für Quarta), [Schülerband])

Falkmann: Der Truppendurchmarsch. Jacobs: Gastfreundschaft. 189 
83. Gastfreundschaft. 
Von Friedrich Jacobs. Schriften für die Jugend. Leipzig, 1844. 
Als ich eines Tages am Ufer des Inn durch daß Engadinthal 
wanderte und von der Nacht überrascht wurde, kehrte ich in dem Hause 
eines Bauern ein, das in kleiner Entfernung vom Ufer des Flusses 
im Schutze eines Felsen lag, von beiden Seiten durch uralte Nu߬ 
bäume beschattet, die rundum bis an die Zweige hinauf mit üppigem 
Epheu umsponnen waren. Vor dem Hause breitete sich der reinliche 
Hofraum aus, in dessen Hintergründe eine dichte Laube von Weinreben 
beinahe die ganze Vorderwand des einstöckigen Hauses einnahm. Hier 
saß der Eigentümer des Hauses auf der hölzernen Bank, der Hofhund 
zu seinen Füßen, ein spinnendes Mädchen an seiner Seite; in einiger 
Entfernung ein Knabe, der an einem Netze strickte. Als ich zur Hof¬ 
thür eintrat, erhob sich der Hund, sah mit vorgestrecktem Kopfe nach 
mir aus und bellte einigemal, aber so leise, daß man wohl sah, er 
wolle nur das herkömmliche Zeichen geben, wie seine Pflicht war. Auch 
mir war das ein gutes Zeichen, und ich dachte augenblicklich an das 
Wort eines alten Dichters, daß man beim Eintritt in ein Haus gleich 
aus der Weise des Hundes die Aufnahme schätzen könne. Auch dieses 
Mal täuschte das Anzeichen nicht. Ich wurde auf das freundlichste 
begrüßt, in das Haus geführt, mit Speis' und Trank reichlich bewirtet 
und endlich in ein Bett gebracht, hoch wie ein Berg und geräumig 
genug, um noch drei andere, wär' es nötig gewesen, aufzunehmen. Da 
war es mir fürwahr, als wär' ich in die Zeit entrückt, wo die Haus¬ 
väter an der Straße saßen und, wenn ein Wanderer vorüberzog, oft 
wetteifernd mit einander ihn unter ihr Dach einluden und an ihrem 
Herde bewirteten, ohne auch nur zu fragen, woher er komme, was er 
für Geschäfte treibe und wie lange er zu weilen gedenke. Gerade so 
wie ich tritt ja Ulysses unerkannt in den Hof des Eumäus, seines 
alten Dieners. Dieser sitzt auch im Vorhause, „in dem umschatteten 
Platze," weist die Hunde zur Ruhe, und nachdem er dem Fremden 
einen hohen Sitz von weichen Fellen bereitet hat, heißt er ihn Platz 
nehmen und setzt ihm Wein und Speise vor. Und da sich Ulysses der 
freundlichen Bewirtung freut und dem Geber Segen dafür wünscht, 
sagt dieser: „Es ist mir nicht gestattet, auch wenn ein schlechterer Mann 
als du hierher käme, einen Fremden zu verachten; denn alle Fremden 
und Armen stehen unter Obhut der Götter". So dachte auch mein 
wackrer Wirt im Engadinthal. Und als ich mich bei Tagesanbruch 
zur Abreise anschickte, faßte er meine Hand mit den Worten: „Warum 
wollt Ihr schon wieder von dannen ziehn? Weilet bei mir und seid 
willkommen!" Und als ich erwiderte: „Ich sage Euch Dank für den 
guten Willen, den Ihr mir beweist; aber ich würde Euch zur Last 
fallen," da ergriff er meine Hand von neuem, führte mich in seine 
Speicher voll aufgeschütteten Korns und Weizens, in die Gewölbe, mit 
Vorräten aller Art angefüllt, in die Keller voll alten und jungen Weines, 
in die Ställe endlich, wo zwei Reihen stattlicher Kühe aus vollen
	        
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