Freiligrath. Ebert.
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9. Oft zur Zeit der Sonnenwenden
Nächtlich ihr vorübersaust,
Eine Wiltschur um die Lenden,
Eine Kiefer in der Faust.
10. Sie vernimmt mit leisen Ohren,
Wie die Vögel sich besprechen;
Keine Silbe geht verloren
Des Gemurmels in den Bächen.
11. Offen liegt vor ihr der stille
Haushalt da der wilden Tiere.
Welcher Friede, welche Fülle
In dem schattigen Reviere!
1. Inmitten der Fregatte
Hebt sich der starke Mast
Mit Segel, Flagg' und Matte;
Ihn beugt der Jahre Last.
2. Der schaumbedeckten Welle
Klagt zürnend er sein Leid:
„Was hilft mir nun dies helle,
Dies weiße Segelkleid?
3. Was helfen mir die Fahnen,
Die schwanken Leiterstricke?
Ein starkes innres Mahnen
Zieht mich zum Forst zurücke.
4. In meinen jungen Jahren
Hat man mich umgehauen;
Das Meer sollt' ich befahren
Und fremde Länder schauen.
12. Menschen fern,nurRotwildstapsen
Auf dem moosbewachsnen Boden —
O, wohl magst du deine Zapfen
Freudig schütteln in die Loden!
13. O, wohl magst du gelben Harzes
Duft'ge Tropfen niedersprengen
Und dein straffes, grünlichschwarzes
Haar mit Morgentau behängen!
14. O, wohl magst du lieblich wehen!
O, wohl magst du trotzig rauschen!
Einsam auf des Berges Höhen
Stark und immergrün zu stehen —
Tanne, könnt' ich mit dir tauschen!
II.
5. Ich habe die See befahren,
Meerkön'ge sah ich thronen;
Mit schwarzen und blonden Haaren
Sah ich die Nationen.
6. Isländisch Moos im Norden
Grüßt' ich auf Felsenspalten;
Mit Palmen auf südlichen Borden
Hab' Zwiesprach' ich gehalten.
7. Doch nach dem Heimatberge
Zieht mich ein starker Zug,
Wo ich ins Reich der Zwerge
Die haarigen Wurzeln schlug.
8. O stilles Leben im Walde!
O grüne Einsamkeit!
O blumenreiche Halde!
Wie weit seid ihr, wie weit!"
161. Waldlieder.
Von Karl Egon Ebert. Dichtungen. Stuttgart, 1845.
1. Ein sanfter Morgenwind durch¬
zieht
Des Forstes grüne Hallen,
Hell wirbelt der Vögel muntres Lied,
Die jungen Birken wallen.
2. Das Eichhorn schwingt sich von
Baum zu Baum,
Das Reh durchschlüpft die Büsche,
Viel hundert Käfer im schattigenRaum
Erfreun sich der Morgenfrische.
3. Und wie ich so schreit' im luftigen
Wald
Und alle Bäum' erklingen
Und um mich her alles singet und schallt,
Wie sollt' ich allein nicht singen?
4. Ich singe mit starkem, steudigem
Laut
Den, der die Wälder säet,
Der droben die luftige Kuppel gebaut
Und Wärm' und Kühlung wehet.