IP. Zur Literatur und Kunii.
39. Luthers Bedeutung für die deutsche Literatur.
3m Mittelpunkt.der literarischen Bewegung des sechzehnten Jahr¬
hunderts stand Dr. Martin Luther. Buch wer die Kirchen¬
spaltung, die er herbeiführte, beklagt, kann sich doch der
gewaltigen Eigenart dieses Mannes nicht entziehen.
Er war in seinem ganzen Wesen eine Verkörperung deutscher
Art. Einige grundlegende Züge unseres Eharakters treten scharf in
ihm hervor. Der Mut und die unerschütterliche Beharrlichkeit, mit
der er seine Ansichten einer ringsum andrängenden Welt von Gefahren
gegenüber verficht, erinnern an Gestalten unserer frühen volkssage
10 und volksepik; daZu die rücksichtslose Mast in der Verfolgung hoher
Ziele. Wie die burgundischen Könige und Hagen an Etzels Hof mit
Gelassenheit dem Tod ins Angesicht schauen, so steht Luther unver¬
zagt vor dem Wormser Reichstag, er harrt aus, „und ob die Welt
voll Teufel wär'". In seinen Briefen und Flugschriften atmet der
15 Ausdruck diesesMutes jene Schroffheit, die seinem Wesen zu Zeiten eignete.
Aber trotz solcher vorübergehender und vielleicht später von ihm
selbst bedauerter Ausbrüche ist doch die Grundstimmung des Mannes
mild. Welch ein reiches Gemüt zeigt sich bei jenen Anlässen, die
seine rein menschlichen Lebensbeziehungen brachten,- wie ergreifend
20 ist die weiche Klage um sein totes Kind, sein Lenchen,- welch eine
Fülle von humorvoller Herzensgüte leuchtet aus dem klassischen Brief
an sein „hänsichen",- wie sonnig ist die Laune, die in allerlei neckischen
Briefen und Tischreden hervorbricht, so in jenem berühmten Schreiben